Laura Leander - 03 Laura und das Orakel der Silbernen Sphinx
ging es Laura durch den Kopf. Die Mathe- und Physiklehrerin war berüchtigt für ihre fiesen Tests. Die Aufgaben waren meist so schwer, dass für gewöhnlich selbst die Klassenbesten ihre liebe Not damit hatten. Und ausgerechnet diese verhasste Paukerin war Lauras Mathelehrerin. Kein Wunder also, dass sie immer noch auf Fünf stand. Was ihr im Jahreszeugnis zum Verhängnis werden konnte, sollte sich ihre Physikzensur wieder verschlechtern.
Da tönte ein Bimmeln durch den Speisesaal: Professor Morgenstern hatte sich von seinem Stuhl erhoben, der als einziger über eine erhöhte Rückenlehne und Armstützen verfügte, und schwang eine Glocke. Die Gespräche der Schüler ebbten ab, bis sie schließlich ganz verstummten. Über zweihundertfünfzig Augenpaare blickten Aurelius Morgenstern gespannt an.
Trotz seines fortgeschrittenen Alters – der Professor musste schon an die Siebzig sein – stand er fast kerzengerade da. Die ergraute Haarmähne, die wirr von seinem Haupt abstand, verlieh ihm das Aussehen eines altehrwürdigen Löwen. »Wenn ich für einen Moment um Aufmerksamkeit bitten dürfte«, sprach er mit einer sonoren Stimme, die auch ohne Mikrofon bis in den letzten Winkel des geräumigen Speisesaales zu vernehmen war. »Ich will es kurz machen: Aus verschiedenen Gründen, deren Erläuterung mir die mangelnde Zeit verbietet, sehe ich mich im Augenblick nicht in der Lage, das Amt des Direktors wahrzunehmen. Ich habe deshalb die Leitung des Internats bis auf weiteres dem Kollegen Dr. Schwartz übertragen.«
Unruhe machte sich breit im Saal, und an allen Tischen wurde aufgeregtes Gemurmel laut. »Oh, nö!«, stöhnte Kaja. »Was soll denn das, zum Geier!«, schimpfte Magda, und Lukas schüttelte nur fassungslos den Kopf. Laura dagegen war alles andere als überrascht, hatte sie doch damit beinahe gerechnet.
Das Lehrerkollegium allerdings wirkte völlig perplex. Mit Ausnahme von Quintus und Taxus natürlich. Auch Miss Mary Morgain und Percy Valiant, die links und rechts vom Direktor saßen, schienen von Morgenstern vorher eingeweiht worden zu sein. Was Laura ebenfalls nicht verwunderte. Schließlich zählten die Englisch- und Französischlehrerin und der Sportlehrer ebenfalls zu den Wächtern und damit wie sie selbst zu den engsten Verbündeten des Direktors, der soeben den Saal verließ.
»Was, zum Geier, ist denn bloß in den Direx gefahren?« Magda Schneider schnitt eine Grimasse, als zweifele sie an Morgensterns Verstand. »Ist der jetzt völlig durchgedreht?«
»Das kann er doch nicht machen!«, ereiferte sich selbst Lukas, der eigentlich bekannt dafür war, selbst in den prekärsten Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren. »Damit können Dr. Schwartz und Pinky wieder schalten und walten, wie sie wollen!«
»Lukas hat Recht.« Auch Kaja blickte Laura vorwurfsvoll an. »Er muss doch wissen, dass die beiden das ausnutzen werden, um uns das Leben zur Hölle zu machen! Als hätten wir das nicht oft genug erlebt! Wieso tut Morgenstern so was?«
»Das weiß ich genauso wenig wie ihr«, erklärte Laura. »Aber ich möchte wetten, dass der Professor triftige Gründe dafür hat!«
Albin Ellerking fiel auf die Knie und rutschte näher an die unheimliche Gestalt im Schatten heran. »Verzeiht, Große Meisterin«, wimmerte er mit zum Boden gewandtem Gesicht. »Verzeiht, dass ich Euch nicht gleich erkannt habe.«
Ein grausames Lächeln ging über das bleiche Gesicht der Frau. »Steh auf, du Narr!«, befahl sie. »Niemand verlangt, dass du vor mir im Staube kriechst.«
Der Gärtner erhob sich und wagte doch nicht, in die gelben Reptilienaugen zu schauen, die ihn stechend musterten. Wie es sich angesichts der Großen Meisterin geziemte, hielt er den Kopf demütig gesenkt. »Nie hätte ich zu hoffen gewagt, dass mir jemals die Gnade Eurer Gegenwart zuteil wird«, flüsterte er. »Nie im Leben.«
Gutturale Laute, die wohl ein Lachen darstellen sollten, kamen aus der Kehle der Besucherin. Der Schein des aufgehenden Mondes ließ ihr pechschwarzes Haar aufschimmern, und der schwefelige Geruch, der von ihr ausging, wurde immer stärker. »Dann freu dich gefälligst«, höhnte sie, »und zieh nicht ein Gesicht, als wäre ich die Ausgeburt der Hölle höchstpersönlich – auch wenn ich mich dort bestens auskenne.« Ihr Gesicht verzerrte sich zu einer höhnischen Maske, und ihr Lachen jagte dem Gärtner einen kalten Schauer über den Rücken.
»Ich habe dir etwas mitgebracht«, fuhr die Frau fort. »Hier –
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