Laura Leander 04 - Laura und der Fluch der Drachenkönige
sobald sie sich auf dem Lager ausstreckten.
»Ich wusste immer, dass du noch lebst«, flüsterte Alarik. Mit einer unbeholfenen Geste strich er Alienor übers Haar.
Alienor drückte fest die Hand des Bruders. »Dann kannst du dir auch vorstellen, wie es mir ergangen ist, als du plötzlich verschwunden warst.« Seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten, waren mehr als sechs Monde vergangen. Es gab so viel zu erzählen, doch sie beschränkten sich auf das Notwendigste. Alarik verging fast vor Rührung, als er erfuhr, dass seine Schwester sich mit Absicht in die Hand des Dunklen Herrschers begeben hatte, weil sie ihren Bruder dort vermutete.
»Aber wie willst du wieder entfliehen?«, fragte Alarik. »Nach allem, was man hört, ist noch keinem der Sklaven jemals die Flucht aus der Festung gelungen.«
»Mach dir nicht zu viele Sorgen! Es findet sich schon eine Gelegenheit«, erklärte Alienor in beruhigendem Ton. »Mit der Kraft des Lichts werden wir die Freiheit wiedererlangen – ganz bestimmt.«
»Ich hoffe nur, dass du Recht behältst. Ich will dich nicht verlieren«, flüsterte Alarik. »Weißt du, wohin der Schwarze Fürst die Sklaven transportieren lässt?«
»Darüber gibt es nur wilde Gerüchte. Die einen vermuten, die Erzminen in den Feuerbergen wären euer Ziel. Andere wiederum meinen, dass Borboron mit euch andere Pläne verfolgt.«
Alariks Miene verdüsterte sich. »In jedem Fall werden sie uns unterwegs gut bewachen.«
Der Klang seiner Stimme gefiel Alienor nicht. Er hörte sich so mutlos an. »Und wenn schon«, sagte sie und rüttelte ihn an der Schulter. »Solange es noch Hoffnung gibt, dürfen wir nicht aufgeben!«
Ihr Bruder schaute sie nachdenklich an und lächelte überraschend. »Du hast ja Recht«, erklärte er. »Deine Worte erinnern mich an Laura, das Mädchen vom Menschenstern. Sie hat das Gleiche gesagt, auch wenn sie es anders ausgedrückt hat: ›Nur wer aufgibt, hat schon verlorene« Plötzlich kam Alarik etwas in den Sinn. »Laura hat gesagt, ihr Vater würde in dieser Festung gefangen gehalten.«
Alienor nickte. »Ich kenne sein Verlies und habe schon häufig mit ihm gesprochen.«
Alarik legte ihr die Hand auf die Schulter. »Dann solltest du ihm berichten, dass Laura nach Aventerra zurückgekehrt ist, um ihn zu befreien. Das wird ihm neuen Mut verleihen und ihm helfen, so lange durchzuhalten, bis seine Tochter ihre Mission erfüllt hat!«
»Bestimmt!« Alienor lächelte den Bruder aufmunternd an. »Vielleicht sollten wir uns ein Beispiel an Marius nehmen? So lange schon ist er hier gefangen und muss schreckliche Qualen erdulden – und dennoch hat er bis heute nicht die Hoffnung verloren. Aber was Lauras Vater vermag, dass können wir auch!«
»Gewiss.« Noch einmal berührte er ihr Haar. »Geh jetzt, Alienor. Der Aufseher kann jeden Moment zurückkommen. Pass auf dich auf!«
Alienor umarmte den Bruder. Sie musste ein Schluchzen unterdrücken. Als sie davonhuschen wollte, hielt er sie zurück. »Glaubst du, dass es stimmt, was der Schwarze Fürst behauptet hat? Dass unsere Ahnen einst Handel mit den Drachenkönigen getrieben haben? Und dass ein Makel auf unserer Familie lastet?«
»Nein«, hauchte das Mädchen. »Ganz bestimmt nicht!«
»Weißt du, was merkwürdig ist?« Alarik sah die Schwester beklommen an. »Seit mich Gurgulius, dieses doppelköpfige Ungeheuer, aus seinen Fängen gelassen hat, bin ich von einem seltsamen Gefühl beseelt: Mir ist, als sei mein Tod nur aufgeschoben.«
»Das ist doch Unsinn!«, widersprach Alienor heftig.
»Ich wünsche mir, dass du Recht behältst. Aber Borborons Worte haben meine Vorahnungen nur noch bestärkt.«
»Aber…« Alienor schluckte. »Du musst dich täuschen, Bruder. Der Schwarze Fürst hat mit Sicherheit gelogen.«
»Warum sollte er?« Alarik starrte abwesend vor sich hin, und im Schein des Mondes glich sein Gesicht einer Totenmaske. »Das war keine Lüge, Alienor. Ich spüre, dass mein Schicksal untrennbar mit den Drachen verbunden ist.«
S chon fünf Minuten vor der vereinbarten Zeit stand Lukas auf dem Wolfshügel und starrte hinunter auf den Alten Schindacker. In der Nacht wirkte der aufgelassene Friedhof noch um einiges unheimlicher als am Tag. Die verkrüppelten Büsche und Sträucher schienen gleich finsteren Schattentieren über den ungeweihten Flecken Erde zu kriechen, und trotz der sommerlichen Jahreszeit stieg eine schneidende Kälte aus der Senke empor. Lukas überkam ein Frösteln, das noch stärker
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