Lebenselixier
„Früher dachte ich oft, lass den alten Sack
mal reden. Aber er hat recht.“
Lukas Augen schienen zu brennen, als er den Kopf wandte und sie ansah.
„Es tut mir leid, Tony! Das ist der Grund, warum ich so ausgerastet bin. Die
Lichtempfindlichkeit, der Blutdurst – das alles scheint nicht so wichtig zu
sein. Niemand möchte sich heute noch dabei erwischen lassen, dass er an Monster
glaubt. Auch wir nicht. Wir haben angefangen, uns als eine andere Art Menschen
zu betrachten. Wir erziehen unsere Söhne, als wären sie Menschenkinder mit
einer Sonnenallergie. Damit belügen wir uns selbst. Wenn es um die
Transformation geht, fliegt die Selbsttäuschung endgültig auf.“
„Du bist doch kein Monster, Lukas!“
Behutsam strich er ihr eine Haarsträhne aus der Stirn. „Das ist eine Frage der
Definition – nein, lass mich ausreden. Nach der heutigen Vorstellung kann es
gar keine Monster geben. Monster an sich sind irreal. Das Gleiche trifft auf
Dämonen oder böse Geister zu. Wir sollten uns darüber wahrscheinlich nicht
beschweren, weil es uns das Leben erleichtert. Die meisten Menschen würden
sogar eindeutige Beweise für unsere Existenz lieber ignorieren, als einzuräumen,
dass es Vampire geben könnte. Aber das macht es auch schwer, uns selbst zu
definieren. Wir glauben selbst nicht mehr an Dämonen, und vergessen dabei, was
wir in Wahrheit sind.“
Hier unten, Gott
weiß wie viele Meter unter der Erde, fiel es Tony sehr viel schwerer, sich
Lukas Terminologie zu entziehen, als es das wohl in ihrem taghell erleuchteten,
modernen Wohnzimmer gewesen wäre.
„Du bist kein Mensch“, setzte sie an, und brach ab, als ihre Stimme zu kippen
drohte.
„Siehst du, wie schwer dir das fällt?“
Tony schüttelte den Kopf. Sie richtete sich auf, bis sie im Schneidersitz neben
ihm saß. „Ich weiß, dass du kein Mensch bist!“, protestierte sie ärgerlich.
„Ja? Aber fühlst du das auch so?“ Er tippte auf ihre Brust, über dem Herzen.
„Da drin. Ich kann es mir nicht vorstellen, weil ich es die meiste Zeit selbst
nicht fühle. Nur manchmal, wenn ich sehe, was einige von uns anrichten. Oder
wenn ich versuche, dich daran zu hindern, herauszufinden, dass ich in Wahrheit
doch ein Dämon bin.“
„Gehört zu einem Dämon nicht auch, dass er den Menschen schaden will?“
„Nur weil ich versuche, das nicht zu tun, bin ich nicht weniger ein Dämon.“
Lukas schien wild entschlossen, an dieser Einstellung festzuhalten.
„Kannst du es dir vorstellen, Tony? Dieses Ding in dem Buch. Das bin ich!
Kannst du dir das wirklich vorstellen?“
„Lukas, du kannst damit aufhören. Unsere Beziehung ist mir wichtiger als
Kinder. Wenn du es partout nicht willst, dann werden wir eben kein Kind haben.“
Diesmal lag eine Spur Spott in seinem Lachen. „Das hat sich gestern aber noch
ganz anders angehört.“
„Da wusste ich noch nicht, wie sehr diese Sache dir zusetzt. Nein, jetzt lass
mich auch ausreden. Ich habe keine Angst vor dir. Ich bin sicher, dass ich mit
dieser Transformationsgeschichte zurechtkomme. Schließlich haben Nora und
Samantha das auch hingekriegt. Und eine ganze Menge anderer Frauen. Mein Gott,
deine Großmutter hatte drei von euch! Du bist derjenige, der hier das riesen
Problem hat. Ich bin bereit, darauf Rücksicht zu nehmen, weil ich dich liebe.
Verstanden?“
Lukas antwortete eine ganze Weile nicht und Tony betrachtete die Decke, die
Möbel, die Wände. Ihr Blick glitt zuerst über die eisernen Ringe hinweg, die
aus der massiven Felswand hinter dem Bett ragten. Sie waren so ... bizarr. Sie
richtete sich auf und entdeckte eine Reihe ähnlicher Vorrichtungen, die im
steinharten Eichenholz des Podestes verankert waren.
„Deine Großmutter war freiwillig hier, oder?“
Lukas folgte ihrem Blick.
„Ich glaube nicht, dass die für Mariella waren.“
Er rutschte in die Mitte der Lagerstatt und hob die Arme über den Kopf. Obwohl
er seine Großmutter nie gesehen hatte, war er doch sicher, dass sie kleiner
gewesen sein musste als er. Eine kleinere Person hätten diese Ringe, als
Fesseln benutzt, was zweifellos ihre Bestimmung war, in eine sehr unbequeme
Haltung gezwungen. Für Lukas lange Arme würden sie jedoch gut passen.
„Ich tippe auf Gerwulf.“
29
Erstaunlich , dachte Thomas verschwommen, dass nach der Tortur, die er
durchgemacht hatte, das Pieken einer Nadel ihn aufwecken konnte.
„Hannah?“, flüsterte er.
Kurz bevor er das Bewusstsein verlor, hatte er wirklich gehofft, nie wieder
aufzuwachen. Doch
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