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Lebenslang

Lebenslang

Titel: Lebenslang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schwindt
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Dienstwagen der Polizei nach Frankfurt. Schumacher sitzt am Steuer, ich habe hinten Platz genommen und schaue zum Fenster hinaus. Meine Tochter, mein Kind ist ermordet worden. Ihre Leiche wartet auf mich. Für alle anderen, die wir auf der Autobahn nach Frankfurt überholen, ist heute ein ganz normaler Tag. Sie kehren heim von ihrer Arbeit zu ihren Familien. Zu ihren Kindern. Zu ihrem Leben, das sie haben, während ich in die entgegengesetzte Richtung fahre.
    Schumacher schweigt, und es ist gut so. Worüber sollten wir reden? Über Fußball? Seine Tochter, die heute Abend auf ihn warten wird? Oder mich, meine Familie, die keine mehr ist, nie wieder eine sein wird? Astrid möchte Julia gerne so in Erinnerung behalten, wie sie sie das letzte Mal gesehen hat. Aber ich kann immer noch nicht glauben, dass meine Tochter tot ist. Ich muss es mit eigenen Augen sehen, mit meinen eigenen Händen fühlen.
    Ich achte nicht auf den Weg, den Schumacher nimmt, noch weiß ich, was unser Ziel ist. Wir fahren durch die Stadt. Menschen tanzen auf den Straßen, schwenken Fahnen, trinken Bier und feiern. Ich schließe die Augen und lehne mich zurück.
    Schumacher biegt in die Abfahrt einer Tiefgarage und stoppt den Passat an einer Säule. Er lässt das Fenster herunter, steckt einen Schlüssel in ein Schloss und dreht ihn um. Eine Ampel springt auf Rot, mit einem lauten Rattern fährt ein Rolltor hoch. Erst als die Ampel auf Grün schaltet, löst Schumacher die Bremse und fährt hinunter. Durch das geöffnete Fenster rieche ich Benzin, Gummi und abgestandene Luft. Schumacher steuert den Wagen auf einen Parkplatz und schließt das Fenster. Dann steigt er aus und öffnet die hintere Tür.
    Ich frage nicht, wo wir sind. Aber ich weiß in diesem Moment, dass der Polizist mein Führer in die Hölle ist. Wir gehen durch mehrere Brandschutztüren, steigen eine Treppe hinauf und melden uns bei einem Portier an, der offensichtlich schon Bescheid weiß. Wir müssen nicht warten.
    Eine Tür wird geöffnet. Ein Mann mit einem weißen Kittel und beginnender Glatze kommt zu uns. Er sieht aus wie ein Arzt. Doch die Menschen, die zu ihm gebracht werden, können nicht mehr geheilt werden. Ein scharfer Geruch nach Desinfektionsmitteln geht von ihm aus. Er streckt mir die Hand entgegen.
    »Herr Steilberg.« Kein herzliches Beileid, keine aufrechte Anteilnahme. Was im ersten Moment vielleicht unhöflich aussieht, wirkt auf mich sehr taktvoll. »Wenn Sie mir bitte folgen würden.«
    Wir fahren mit einem Fahrstuhl hinunter, nur einen Stock. Als die Tür aufgeht, weiß ich, wo ich bin. Die Wände sind weiß gekachelt, damit man sie besser reinigen kann. Bahren stehen aufgereiht in einem langen Korridor. Sie sehen nicht bequem aus und sollen es wahrscheinlich auch nicht sein. Helles Neonlicht taucht alles in ein lebloses helles Grün.
    Am Ende des Korridors schließt er eine schwere Tür auf, und wir treten in einen kleinen Raum, der außer zwei Stühlen und einem Tisch leer ist. Unsere Sohlen quietschen auf dem gekachelten Boden. Ich muss an ein Schlachthaus denken.
    »Wenn Sie hier bitte einen Moment warten würden«, sagt der Mann, der wie ein Arzt aussieht, und verschwindet. Schumacher bleibt bei mir. Wir setzen uns nicht. Ich habe keine Ahnung, wie oft er schon an diesem Ort war und was dieser Keller aus ihm gemacht hat. Jenseits der Tür, hinter der der Mann im weißen Kittel verschwunden ist, befindet sich der Tod. Oder das, was von ihm noch übrig geblieben ist, wenn die Männer und Frauen hier unten ihre Arbeit erledigt haben.
    Der Mann im weißen Kittel ist schnell zurück. »Kommen Sie bitte«, sagt er.
    Der Raum, den wir betreten, ist so weiß und hell, dass ich für einen kurzen Moment meine geblendeten Augen schließen muss. »Wenn Sie uns etwas mehr Zeit gegeben hätten, hätten wir einen anderen Ort gefunden«, sagt Schumacher.
    Ich öffne die Augen und sehe vier Tische, die wie riesige Nirosta-Spülen aussehen. Auf einem liegt ein Körper, klein und zierlich. Ein grünes Tuch ist bis zum Hals hochgezogen. Die Arme und die Hände sind nicht zu sehen. Die rechte Hälfte des Gesichts wurde ebenfalls abgedeckt.
    Und so sehe ich nur Julias linkes Ohr, linkes Auge, die Nase und den Mund. Das Gesicht, der Teil, der nicht verhüllt ist, hat eine Farbe, die zwischen Gelb, Grün und beinahe Schwarz wechselt. Der Augapfel ist in der Höhle zusammengesunken, die Brauen sind wie die Wimpern verklebt. Im verfilzten Haar haben sich Laub und trockenes Gras

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