Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)
neue Vollzeitstelle schaffen, eine Position für einen zweiten Chefredakteur, gleichrangig neben der bereits bestehenden und natürlich genauso dotiert.«
»Davon hatte ich noch nichts gehört«, sagte ich verdattert.
»Nun, ich hatte bereits ausführlich mit Herrn Hartwig darüber gesprochen. Möglicherweise hat er vergessen, es zu erwähnen.«
»Ja. Ich meine, möglicherweise.«
»Die Ressorts werden entsprechend in zwei unterschiedliche Verantwortungsbereiche aufgeteilt. Für einen davon kann ich mir Sie sehr gut als Leiterin vorstellen.«
Ich war nicht sicher, ob ich das richtig verstanden hatte. Vorsichtig fragte ich: »Sie meinen … ähm, mich ?«
»Ganz recht.«
»Oh«, flüsterte ich – wie immer fiel mir nichts anderes ein.
»Ich komme nächste Woche in die Redaktion und freue mich auf unser Gespräch.«
»Ja, ich mich auch«, brachte ich mühsam hervor.
»Schönes Wochenende!«
»Ja! Ich meine, danke gleichfalls!«
Danach stand ich in der trockenen Dusche, starrte das Handy an und hörte dem Tuten zu, mit dem unwirklichen Gefühl, mir alles nur eingebildet zu haben.
Vollzeitstelle. Chefredaktion. Dotiert. Einreichen für Journalistenpreis.
Ein Kaleidoskop von Wörtern drehte sich in meinem überstrapazierten Gehirn. Konnten sich innerhalb von nur zwei Tagen so viele Wünsche auf einmal erfüllen, auch solche, an die man vorher überhaupt nicht gedacht hatte? Zuerst eine Agentur, dann ein Wahnsinnslover, und jetzt auch noch eine Chef-Vollzeitstelle?
So was kam doch normalerweise nur in Filmen vor!
An Duschen war jetzt kein Denken mehr. Ich musste sofort Tobias davon erzählen! Es würde ihn bestimmt umhauen, denn er war auf eine Weise an meinem Leben interessiert, wie ich es mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt hatte!
»Ich wusste, dass du eine aufregende Frau und eine tolle Journalistin bist«, hatte er gesagt. »Aber dass du heimlich Romane schreibst, ist wirklich …« Er hatte den Satz nicht zu Ende gebracht, weil sein Kopf bei den nächsten Worten irgendwie unter die Bettdecke geraten war. Doch ich hatte den deutlichen Eindruck gewonnen, dass er von meinen schriftstellerischen Aktivitäten sehr beeindruckt war. Umso mehr würde es ihn freuen, von meiner Beförderung zu hören.
Auf halbem Wege zum Schlafzimmer hörte ich Tobias’ Festnetztelefon klingeln. Nach dem zweiten Mal meldete sich die Mailbox, und dann sprach der Anrufer auf Band. Genauer gesagt, die Anruferin. Es war eine Frau, und zwar eine ziemlich junge, wie an der Stimme unschwer zu erkennen war.
»Hi Tobi«, sagte sie. »Hier ist Vanessa. Du Böser, hast einfach dein Handy ausgemacht.« Es hörte sich neckisch und irgendwie … verführerisch an. »Ich hoffe, du hast mich nicht vergessen. Ist das Bett schon frisch bezogen? Und sorg bitte dafür, dass keine anderen Weiber drinliegen, wenn ich nachher komme!« Sie lachte, es klang rauchig und sündhaft. »Ich bin in einer Viertelstunde da und erwarte deine volle Aufmerksamkeit! Ciao und Bussi und bis dann!«
Ich stand unter Schock. Es dauerte eine Ewigkeit, bis ich wieder atmen konnte. Bis dahin hatte ich nicht mal gemerkt, dass ich die Luft angehalten hatte.
Im Film hätte sich das Ganze schnell in Wohlgefallen aufgelöst. Tobias wäre verschlafen ins Wohnzimmer gekommen und hätte lächelnd das Missverständnis aufgeklärt. »Ach, meine kleine Schwester Vanessa hat angerufen! Stimmt, die wollte heute zu Besuch kommen, hab ich total vergessen!«
Aber das hier war kein Film, sondern die Realität, und ich wusste inzwischen, dass er keine Schwester hatte. Nur einen Bruder, und der lebte in Kanada. Er hatte keine Cousinen, keine Tanten, keine Töchter, nicht mal eine Ex, die Vanessa hieß, jedenfalls keine, die er erwähnt hatte. Seine letzte feste Freundin hieß Ute, die davor Ellen, ich erinnerte mich noch sehr gut an den kleinen Stich, den ich verspürt hatte, als er mir von ihnen erzählt hatte, vor allem, als ich erfahren hatte, dass sie beide noch keine vierzig waren. Mit Ute war er anderthalb Jahre, mit Ellen sogar fast drei Jahre zusammen gewesen, und davor mit seiner Ex-Frau Silvia, bis die sich in diesen französischen Abgeordneten verguckt hatte. Er hatte mir von allen möglichen Frauen erzählt, die ihm mal was bedeutet hatten. Eine Vanessa war mit keinem Wort erwähnt worden. Vielleicht zählte er seine kurzen Affären nicht mit. Schon gar nicht die One-Night-Stands. Zu denen ich jetzt wohl auch gehörte. Besser, ich war weg, bevor die
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