Lehrer-Deutsch - Deutsch-Lehrer
auch einfach selbst kommen.
Manche Kollegen glaubten, hier eine Unzulänglichkeit des Computers zu erkennen, und gingen wieder dazu über, die Zeugnisbemerkungen per Hand zu verfassen, was den Eindruck der Empathie wesentlich verstärkt:
Peter Schulze, Klasse 7a geboren am: 23.09.1998 in: Berlin
Bemerkungen zu Verhalten, Mitarbeit und Wahlunterricht:
„Der aufgeweckte Schüler wirkte im Unterricht etwas verträumt.“
Diese Beobachtung lässt vermuten, dass er meist erst am Ende des Unterrichts aufgewacht ist. Und selbst das offenbar nicht freiwillig.
Häufig lässt die Formulierung der Zeugnisbemerkung Rückschlüsse auf den fachlichen Hintergrund des Verfassers zu. Bei einem Wirtschaftslehrer liest sich das so:
Bastian Wagner, Klasse 8b geboren am: 03.02.1997 in: Köln
Bemerkungen zu Verhalten, Mitarbeit und Wahlunterricht:
„Gegen Ende des Schuljahres fielen die Leistungen aufgrund von Gewinnmitnahmen deutlich ab. Die Insolvenz war auch durch eine Bereinigung der Bilanz in den musischen Fächern nicht zu vermeiden.“
Im vorliegenden Fall hat der Schüler tatsächlich das Klassenziel nicht erreicht. Dies ist den Eltern aber erst klar geworden, als sie das Zeugnis ihrem Vermögensberater vorgelegt haben. (Dieser hat ihnen angeblich geraten, die schlechten Noten vorläufig in eine Bad Bank auszulagern.)
Ist der Klassenleiter hingegen Musiklehrer, klingt die im Ergebnis identische Zeugnisbemerkung wesentlich freundlicher:
Leon Müller, Klasse 6d geboren am: 12.05.1999 in: Hamburg
Bemerkungen zu Verhalten, Mitarbeit und Wahlunterricht:
„Trotz seines Grundtempos im Lento possibile war seine Artikulation von zahlreichen Sforzati geprägt. Eine Reprise ist deshalb nicht zu vermeiden. Da capo!“
Oft lassen sich auch private Vorlieben der Lehrkraft in der Zeugnisbemerkung erkennen:
Niklas Schuster, Klasse 10e geboren am: 30.03.1995 in: Hof
Bemerkungen zu Verhalten, Mitarbeit und Wahlunterricht:
„Sein moussierendes und vorwiegend vollmundiges Verhalten wurde von einem reichhaltigen Interessensbouquet ergänzt. Im Abgang etwas muffig, weshalb eine einjährige Nachreife empfohlen wird.“
Es ist nur zu verständlich, dass Eltern im Einzelfall mit der Interpretation dieser Verbalqualifizierungen überfordert sind. Um diesen verbalen Wildwuchs zu beschneiden, haben die Kultusministerien eine spezielle Sprache entwickelt: das sogenannte Zeugnisch. Eine lebendige Sprache, die ihren besonderen Reiz aus zahlreichen Euphemismen bezieht.
Zeugnisch:
Deutsch:
„Der Schüler pflegte außerunterrichtliche Interessen.“ a
Er war faul.
„Der Schüler wurde von außerschulischen Interessen in Anspruch genommen.“ b
Er war stinkfaul.
„Der Schüler weist erhebliche Lücken im Grundwissen auf.“
Er war schon immer stinkfaul.
„Die Lücken im Grundwissen sind in absehbarer Zeit nicht zu schließen.“
Er wird wohl auch in Zukunft stinkfaul bleiben.
„Der Schüler verfügt über ein hohes Leistungspotenzial.“ c
Seine Leistungen gehen gegen null, weshalb seine Möglichkeiten, sich zu verbessern, gegen Unendlich gehen.
Erläuterungen:
a
Der Schüler hat sich durchaus für etwas in der Schule interessiert – zum Beispiel für die Mädels aus der Parallelklasse.
b
Counter Strike, The Sniper 2, Matrix Fighter …
c
Rechenbeispiel: Wer auf einer Zwei steht, der kann sich maximal um 20 Prozent verbessern; wer aber auf einer Sechs steht, kann sich zu hundert Prozent verbessern. Das ist Potenzial!
Selbst die Zeugnisbemerkungen zum Betragen müssen differenzierter übersetzt werden.
Zeugnisch:
Deutsch:
„Das Betragen war altersgemäß.“ (Unterstufe)
Der Schüler ist ausgesprochen verhaltensoriginell, eine Art ambulantes Epizentrum.
„Das Betragen war altersgemäß.“ (Mittelstufe)
Der Schüler bockelt oder zickt – je nach Geschlecht (soweit man sich diesbezüglich schon festgelegt hat).
„Das Betragen war altersgemäß.“ (Oberstufe)
Der Schüler war eigentlich überhaupt nicht anwesend.
Auch die Empfehlungen für die weitere Schullaufbahn werden in der Lehrerkonferenz auf Zeugnisch formuliert:
Zeugnisch:
Deutsch:
„Übertritt ins Berufsleben“
Schüler ist am Ende seiner intellektuellen Kräfte.
„Wiederholung der Jahrgangsstufe im Internat“
Die Eltern sind das Problem.
„Wiederholen der Jahrgangsstufe bei erheblich gesteigertem Arbeitseinsatz“
Kleines Späßchen der Lehrerkonferenz
„Mehrmaliges Wiederholen der letzten Jahrgangsstufe“
Leider noch nicht möglich, obwohl es manchmal
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