Lehtolainen, Leena
nahm mir aber vor, Kirstilä gegen Ende der Woche noch einmal zu befragen. In der Nacht des zweiten Weihnachtstages war also jemand bei Elina gewesen! Daraus folgte zumindest, dass eine der Frauen gelogen hatte.
Am nächsten Tag schaffte ich es beim besten Willen nicht, nach Rosberga zu fahren. Einige von Palos Fällen waren bei mir gelandet, und obwohl ich mich bemühte, so hart zu arbeiten wie früher, war ich zeitweise wie gelähmt. Ich saß reglos da und bildete mir ein, wieder in Nuuksio zu sein, bei der Hütte im Wald, den Lärm der Hubschrauber und das Rattern der Waffen zu hören, bis plötzlich Totenstille herrschte. In der Mittagspause saß ich mit Pihko am selben Tisch, und als wir wieder an die Arbeit gingen, bat ich ihn, einen Blick in Palos Zimmer werfen zu dürfen.
Der Schreibtisch sah aus wie immer, nur Palos wirre Notizen fehlten, sie waren mittlerweile auf unseren Tischen gelandet.
Seine dunkelblaue Strickjacke hing über der Stuhllehne, und als ich sie anfasste, stieg der vertraute Geruch nach Rexona und Lutschtabletten auf.
»Jeden Morgen, wenn ich zur Arbeit komme, wundere ich mich, dass Palo noch nicht da ist«, sagte Pihko. »Seine Frau will morgen die Sachen abholen. Mal sehen, wen sie mir ins Zimmer setzen. Hoffentlich nicht den Ström.«
»Wir brauchen unbedingt einen Ersatzmann. Was meinst du, wann die Stelle ausgeschrieben wird? Ein guter Freund von mir macht gerade einen Kurs für den mittleren Dienst. Pekka Koivu, kennst du ihn? Das wäre der Richtige für uns. Ich hab früher in Helsinki mit ihm zusammengearbeitet.«
Mein Freund Koivu hatte der von fremdenfeindlichen Aus-schreitungen geplagten Stadt Joensuu den Rücken gekehrt und nahm in Otaniemi an einem Lehrgang für den mittleren Polizei-vollzugsdienst teil. Wir hatten eigentlich vorgehabt, gleich nach Weihnachten zusammen ein Bier trinken zu gehen, doch aus verschiedenen Gründen war bisher nichts daraus geworden.
Pihkos Telefon klingelte. Zu unser beider Überraschung war Taskinen am Apparat und bat mich dringend in sein Büro.
Sicher geht es um die Termine für die Vorermittlung zum Geiseldrama von Nuuksio, dachte ich, als ich sah, dass auch der Polizeipräsident zugegen war, mit dem ich noch nie persönlich die Ehre gehabt hatte. Taskinen bat mich, Platz zu nehmen, mied aber meinen Blick und starrte an mir vorbei, als wäre an der Wand über meinem linken Ohr ein neues, faszinierendes Gemälde aufgetaucht.
»Nun denn, Hauptmeister Kallio, ich habe soeben einen sehr unangenehmen Anruf von einem hohen Herrn im Innenministerium erhalten«, begann der Polizeipräsident. Er war beinahe schon im Pensionsalter, einer derjenigen, die unter Präsident Kekkonen rasch Karriere gemacht und dem Vernehmen nach des Öfteren ein Auge zugedrückt hatten, sofern man sich über den Preis einig geworden war. Die vielen Einladungen in teure Restaurants und zu feuchtfröhlichen Saunaabenden hatten ihre Spuren hinterlassen, wie der massige Körper und die aufgeplatz-ten Äderchen im Gesicht zeigten, und der elegante, allem Anschein nach teure dunkelblaue Anzug hob nur um so deutlicher hervor, wie verbraucht der Mann war. Den Anzug hatte er vermutlich auch nicht vom regulären Gehalt bezahlt. Mehrmals war er nur mit Ach und Krach einem Disziplinarverfahren entgangen, und auch das, so munkelte man, nur deshalb, weil der derzeitige Innenminister auch einer der jungen Schützlinge Kekkonens gewesen war und unseren Polizeipräsidenten seit Jahren kannte. Womöglich handelte es sich bei dem »hohen Herrn« um Innenminister Martti Sahala persönlich.
»Wegen des Geiseldramas in Nuuksio, nehme ich an«, sagte ich irritiert. Wollte das Innenministerium uns etwa vorschreiben, was wir bei der Befragung zu sagen hatten?
»Nein, um diesen Fall geht es nicht, obwohl darüber zu gegebener Zeit sicher ausführlich gesprochen werden muss. Der Anruf bezog sich auf den ungeklärten Todesfall, der sich vor rund zwei Wochen ebenfalls in Nuuksio ereignet hat. Das Opfer war eine gewisse Elina Rosberg.«
»Was hat das Innenministerium denn damit zu tun?«
»Das Innenministerium weist nachdrücklich darauf hin, dass es nicht opportun ist, Zeugen ungerechtfertigterweise eine Festnahme anzudrohen.«
»Wie bitte?!« Es konnte sich nur um meinen gestrigen Wortwechsel mit Tarja Kivimäki handeln. Was in aller Welt hatte der Innenminister damit zu tun?
»Sie erinnern sich an Ihr gestriges Gespräch mit Frau Kivimä-
ki im Restaurant ›Raffaello‹? Dabei haben Sie
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