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Leichendieb

Leichendieb

Titel: Leichendieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrícia Melo
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stimmt, das ist ein weiteres Problem bei meiner Arbeit. Alles in dieser Stadt verfault so schnell.
    Macht mal Platz, rief Sulamitas Mutter und kam mit der dampfenden Platte zum Tisch. Es gab Fisch mit Urucum, die Spezialität meiner Schwiegermutter. Ich hatte die Brühe mit Piranha- und Krokodilfleisch schon gekostet, das ist nämlich meine Stärke, wiederholte die Alte.
    Es war Sonntag, und wir, mein Schwiegervater und ich, waren den Vormittag über fischen gewesen. Unterwegs hatten wir Sulamita und Regina bei der Grotte neben der Fazenda Vista Alegre abgesetzt, hatten Sulamita geholfen, Regina aus dem Rollstuhl zu hieven und sie ins Wasser zu setzen, und waren dann weiter zum Fischen gefahren.
    Es war Regenzeit, der Fluss führte viel Wasser und bedeckte eine Fläche, so weit das Auge reichte, und seine Ufer waren stark gestiegen. Noch weiter stromaufwärts ist es unbeschreiblich schön, sagte mein Schwiegervater, es gibt dort Buchten, Kanäle, Auen, Terrassen, Salzseen, eines Tages werde ich dich dorthin mitnehmen. Wenn es Gott gibt, sagte er, dann ist er für mich das Pantanal. Wir haben alles, wir haben Wald, Buschwald, Graslandschaft, wir haben die schönsten Vögel, die dudir nur denken kannst. Wo die Drossel singt, dachte ich. Da gibt es Palmen, dachte ich. Heute werde ich dir das Fischen beibringen, sagte er. Ich konnte fischen, kannte die ganze Gegend, mit Rita war ich überall dort gewesen, das war eine unserer Lieblingsbeschäftigungen. Manchmal mieteten wir uns ein Boot, schalteten mitten auf dem Fluss den Motor ab und ließen das Leben an uns vorbeifließen. Nur Rita und ich.
    Schwiegervater, so nannte ich ihn, und er nannte mich mein Sohn. Für mich bist du jetzt mein Sohn, sagte er, während wir fischten. Und dann fing er an, mir Sulamita schmackhaft zu machen, du weißt gar nicht, was für ein wertvoller Mensch sie ist, sagte er, unschätzbar wertvoll und mutig, die Adjektive sprudelten wie ein Wasserfall. Jetzt spielt sie gerade mit Regina, sagte er, sie liebt das Schwimmen. Nur beim Schwimmen stören Regina ihre Beine nicht, ich glaube, das ist es, sagte er. Im Rollstuhl besteht sie nur aus Rumpf, im Wasser werden ihre Beine wieder lebendig, glaube ich. Du machst dir keine Vorstellung davon, was für eine Geduld Sulamita hat. Und sie hat ein großes Herz. Es war nicht einfach für mich und meine Frau, als wir Regina bekommen haben. Ein behindertes Kind ist fast wie ein halbes Kind. Es ist eine Last, das sage ich bei aller Liebe. Anfangs mochte ihre Mutter die Kleine nicht mal anschauen, sie dachte, sie hätte ein Monster zur Welt gebracht. Aber Sulamita, die damals fünf war, hat uns eine Lektion in echter Liebe erteilt. Sie war es, die Regina als Erste ins Herz geschlossen hat. Je weiter Regina heranwuchs, je krummer und hässlicher sie wurde, umso mehr liebte Sulamita sie. Hast du gesehen, wie gut die beiden sich verstehen?
    Ich hatte es gesehen, und ich bemühte mich sogar, mich mit Regina zu unterhalten, obgleich ich ihr Grunzen nicht verstand.Sie sagt, dass sie ein Eis möchte, übersetzte Sulamita, wenn wir zu dritt unterwegs waren. Sie sagt, sie möchte einen Saft. Sie bittet mich, ihr die Windel zu wechseln. Sulamita, und nur Sulamita, verstand diese Sprache, die ebenso krumm und ungestalt war wie der Körper der Schwester.
    Nach dem Fischen holten wir Sulamita und Regina bei der Lagune ab. Regina war völlig erschöpft und schlief auf dem Rückweg im Auto ein.
    Nun saßen wir ausgehungert um den Tisch, zusammen mit Sulamitas beiden Cousins, einer verwitweten Tante, noch einer verwitweten Tante und der neunzigjährigen Großmutter. Wie apart, sagte die eine Tante, als Sulamita ihr den Ring zeigte, den ich ihr geschenkt hatte. Es war zwar kein Verlobungsring, lief jetzt aber praktisch darauf hinaus. Sulamita selbst nannte ihn Verlobungsring. Sehr fein, wiederholte die Tante. Wirklich sehr apart, echote die andere Tante. Ich hatte Serafina mitgebracht, erklärte, sie sei für mich so eine Art Mutter, aber die Indiofrau blieb stumm und still und aß ununterbrochen, aß und schaute, ohne auch nur irgendetwas von dem zu verstehen, was vor sich ging.
    Sulamita hatte vorgeschlagen, auch Carlão und Rita einzuladen, sie wollte sie kennenlernen, aber ich behauptete, Rita sei wegen der Schwangerschaft häufig übel. Ich wollte die Visage der Schlampe nicht sehen. Ihr finsteres Gesicht. In Stiefeln, die Hände in die Hüften gestützt, hatte sie wissen wollen, was zwischen uns lief. Beschissen lief

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