Leichenfresser - Thriller
mein Essen rüber?«
Clark verschluckte sich. Er griff nach seinem Glas, trank rasch einen Schluck und ließ es geräuschvoll auf den Tisch zurücksausen. Milch schwappte heraus.
»Was hast du grade gesagt?«
Barry lehnte sich auf dem Stuhl zurück und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. »Ich sagte: Warum schickst du ihnen nicht mein Essen rüber? Dann brauchen sie nicht mehr zu verhungern.«
Clark wollte aufstehen, aber Rhonda beugte sich zu ihm hinüber und legte ihm die Hand auf die geballte Faust.
»Liebling«, sagte sie in flehentlichem Tonfall. »Er ist bloß durcheinander. Das sind wir alle. Die Polizei ist so lange hier gewesen und es war ...«
Clark entriss ihr seine Hand, griff nach seinem Glas und schüttete ihr die Milch schwungvoll ins Gesicht. Rhonda sog überrascht die Luft ein. Milch tropfte ihr von der Nase und vom Kinn.
»Von dir hat er das«, sagte er. »Der Junge gibt Widerworte und hört nicht auf mich. Führt sich wie ein Klugscheißer auf, weil seine Schlampe von einer Mutter genauso ist.«
»Du Drecksack.« Barry sprang so jäh auf die Beine, dass sein Stuhl krachend hintenüber auf den Boden kippte.
Mit geballten Fäusten erhob sich sein Vater, um seiner Herausforderung zu begegnen.
»Du setzt dich jetzt verdammt noch mal hin, hältst verdammt noch mal die Klappe und isst dein gottverdammtes Abendessen oder du kannst eine Woche lang überhaupt nicht mehr sitzen, so wahr mir Gott helfe.«
»Leck mich, du mieses Schwein. Ich hasse dich. Ich hasse dich und ich wünschte, du wärst tot!«
Barry ballte die Hände genau wie sein Vater zu Fäusten. Heiße Tränen liefen ihm übers Gesicht – vor Wut, nicht, weil er sich schämte. Er zitterte vor Zorn. Clark musterte ihn einen Moment lang. Dann kam er um den Küchentisch herum.
»Bist jetzt wohl ein Mann, was? Richtig erwachsen und kannst fluchen wie ein Großer. Meinste, du kannst mich fertigmachen?«
»Würd ich nur allzu gern.«
Seine Mutter sprang auf die Beine. Ihre Hände fuchtelten umher wie verängstigte Vögel. Ihre nassen Strähnen klebten an der Stirn und ihr lief immer noch Milch vom Gesicht.
»Barry, nicht! Clark! Bitte!«
Clark schenkte ihr keine Beachtung, ging auf Barrys Seite des Tisches und baute sich direkt vor seinem Sohn auf.
Barry widerstand dem Drang, zurückzuweichen, und rührte sich nicht von der Stelle. Sein Vater beugte sich herab und streckte das Kinn vor.
»Nur zu, Junge. Gib alles, was du hast. Zeig mal, was du kannst.«
Zitternd erwiderte Barry: »Warum bist du so? Wieso kannst du nicht sein wie Timmys Dad?«
Clark Smeltzer lachte. »Das willst du also? Randy Graco hat keinen Schimmer davon, was es heißt, ein Vater zu sein.«
»Er ist besser, als du es je sein wirst. Du bist ein Säufer und ein Arschloch. Du lässt Ma und mich keine Freunde haben. Du lässt uns nirgendwohin. Ich kann nicht mal nach nebenan gehen, ohne dass du dabei bist.«
»Ich hab’s dir doch gesagt«, gab Clark zurück. »Es ist zu deinem Besten. Niemand darf den Friedhof nach ...«
»Halt’s Maul«, brüllte Barry. »Ich hab deine Scheiße satt. Ich hab die Schnauze voll davon, wie du uns behandelst.«
»Barry!«, rief seine Mutter. »Bitte hör jetzt auf. Setz dich wieder hin.«
Sein Vater lächelte. »Wie schon gesagt, dann zeig mal, was du kannst.«
Barry starrte ihn an. Sein gesamter Körper bebte. Die Wut fühlte sich wie etwas Festes tief in seinem Innersten an. Sein Herzschlag pochte in seinen Ohren, seine Lippen fühlten sich geschwollen an.
»Waschlappen«, machte sich sein Vater über ihn lustig. »Hab ich’s doch gewusst, dass du’s nicht drauf ha...«
Barry schlug zu. Mit aller Kraft. Seine Faust schoss mit der Wucht von zwölf Jahren voller Misshandlungen und Grausamkeiten vor, zwölf Jahren voller Zorn, voller Tränen und Frustration. Zwölf Jahren Hölle. Sie schoss auf das unrasierte, stoppelige Kinn seines Vaters zu und Barry verspürte einen Anflug von Rechtschaffenheit. Von Wichtigkeit. Ein intensives, testosterongetriebenes Anrecht auf den Übergang ins Mannesalter. In diesem kurzen Augenblick verstand er das Ausmaß seiner Handlung und begriff, dass sie den Verlauf seines Lebens veränderte.
Und dann schlug er daneben.
Mit ausgestrecktem Arm drehte er den Körper und legte sein Gewicht schwungvoll in den Schlag, wie es Luke Cage, der Power Man, in den Comics tat – und dennoch, trotz allem, trotz der ausgleichenden Gerechtigkeit, die er durch seine Adern strömen spürte, segelte
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