Leichte Turbulenzen - Roman
blieb an seinem angestammten Platz stehen, nur er verschwand. Dabei hatten er und Madeleine im Laufe der Jahre durchaus glanzvolle Phasen durchlebt. Sie hatten Urlaub in der Toskana und in Südfrankreich gemacht, waren auf großen internationalen Kunstausstellungen zu Gast gewesen und hatten versucht, ein Kind zu bekommen. Doch selbst die künstliche Befruchtung hatte nichts ausrichten können, zum Trost hatte Collin seiner Madeleine einen kleinen Scotchterrier geschenkt und ihr die Innengestaltung des Hauses überlassen. Sie hatten gemeinsam einen Kochkurs besucht und regelmäßig Freunde zum Essen eingeladen. Sie waren in die Oper und ins Theater gegangen und hatten sich einen schwarzen Jaguar Daimler V8 gekauft. Wo, das fragte sich Fortier, wo lag der Fehler? Es machte ihn wahnsinnig, keine Antwort auf diese simple Frage zu finden, nicht zu wissen, woraus sich Madeleines plötzliche Abneigung gegen ihn speiste. Von einem auf den anderen Tag war er abgemeldet gewesen.
Acht Wochen lang hatte er auf diesen Sessel warten müssen. Jetzt endlich war er da. Er roch ganz und gar herrlich nach Leder. Intensiv nach Leder. Collin hatte sich entspannt darin zurückgelegt, sodass seine Füße in den rotbraunen Lederslippern locker herunterhingen. Seine Arme ruhten rechts und links auf den kühlen Lehnen, und sein Kopf wurde sicher von der Nackenstütze gehalten. Seine Rolex legte er sich auch erst im Büro an. Gerade der Wochenendtrip nach Nizza oder die kleine Reise nach San Sebastian waren doch von außergewöhnlicher Harmonie geprägt gewesen. Madeleine hatte an einem Marktstand sogar einen ungewaschenen Apfel gegessen und bei Bandol mit ihm im türkisfarbenen Mittelmeer gebadet, so entspannt war sie gewesen. Vom Monte Igueldo aus waren sie weiter nach Guernica gefahren und hatten von einem grasbewachsenen Hügel, auf dem die malerische Ruine einer Dorfkirche bröckelte, ergriffen auf die einst zerstörte Stadt hinuntergesehen, die mit ihren rostroten Neubauten wie ausgestorben in der Mittagssonne dalag. Auf der Ruine, das hatte Madeleine allerdings in Panik versetzt, hatte die ETA mit rotem Sprühlack ihre Initialen hinterlassen. Collin atmete tief ein und aus, wobei er von Willem argwöhnisch beobachtet wurde. Seine Lider mit den hellen Wimpern zuckten.
Willem knöpfte seinen mit Ölfarbe gesprenkelten Kittel über dem Bauch zusammen. Er war schon mal schlanker gewesen. Zugegebenermaßen hatte er Schwierigkeiten, den Kittel überhaupt noch zu schließen. Da Mister Fortier nicht die Augen geöffnet hatte, seitdem Willem von Nicky zu ihm hereingebracht worden war, wusste er nicht so recht, was er tun sollte. Möglicherweise praktizierte der Manager so eine Art autogenes Training, wobei er nicht gestört werden durfte. Wenn er nur gewusst hätte, was sein Chef von ihm wollte. Willem ging allerhand Beängstigendes durch den Kopf. »Chelsy wird befördert.« »Ich werde nach oben in Chelsys Werkstatt zwangsverlegt.« »In Zukunft werde ich nur noch Figuren ausbessern.« »Mir wird gekündigt.« »Ich werde wieder im Versand bei ClickSouvenirs jobben müssen.« »Ich werde wieder in einer WG leben müssen.« »Ich werde Zeichenkurse für Hausfrauen anbieten.« »Ich werde als Asphaltmaler vor dem Buckingham Palace enden.« Willem blies die Luft aus, um irgendwie diese innere Anspannung loszuwerden. In letzter Zeit litt er öfter mal unter krampfartigen Magenschmerzen. Hauptsache, da kündigte sich kein Geschwür an. Für die kommende Woche hatte er sich vorsichtshalber beim National Health Service einen Termin für die Darmspiegelung geben lassen. Ob Mister Fortier schon einmal so etwas bei sich hatte durchführen lassen? Als Mann sollte man ab einem gewissen Alter regelmäßig zu diesen Vorsorgeuntersuchungen gehen. Willem war nicht scharf drauf, das musste er in aller Deutlichkeit feststellen. Am meisten Sorge bereitete ihm die Vorstellung, dass eine junge, hübsche Krankenschwester die Angelegenheit erledigte, wobei sie zur Beruhigung ihre kühle Hand auf seinen nackten Po legte und mit sanfter Stimme auf ihn einredete. »Gleich haben wir’s. Der Doktor guckt sich das dann nur noch mal eben rasch an.«
Fortier rührte sich kein bisschen. Nur das rote Lämpchen an seinem Schreibtischtelefon blinkte lautlos auf. Und während Willem hier stand, ging alles wieder verloren, was er im Dunkeln in Bezug auf Jesse James wahrgenommen hatte. Im Dunkeln hatte er genau gewusst, welchen Roséton er für seine Wangen auswählen würde.
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