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Leichtes Beben

Leichtes Beben

Titel: Leichtes Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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angesichts der Situation, in der sie sich befanden, zu lachen?
    »Spinnen die?«, rief der junge Vater, der unverändert neben dem Kinderwagen stand. Dabei sah er Bronnen fragend an. Und die Frau mit dem Haarnetz klagte: »Was ist denn da draußen los? Hallo! Sie helfen uns ja gar nicht!«
    »Der Mann da vorn braucht dringend ärztliche Hilfe!«, rief Bronnen. Während er sprach, fing Bronnen den Blick der Brünetten auf, sodass er sich augenblicklich fühlte wie damals, wenn er zu ihr an die Tafel musste. Als er an ihr vorbei wollte, hinüber zu den eingeschlagenen Fenstern, hauchte sie ihm zu: »Bitte, sagen Sie mir jetzt Ihren Namen! Ich muss wissen, wie Sie heißen!«
    Doch er wich ihr abermals aus, streckte seinen Kopf heraus und schrie: »Verdammt noch mal, was ist denn los? Warum hilft uns denn keiner?« Ihre überraschende Gegenwart spornte ihn an und schien ihn regelrecht |47| zu beflügeln. Genau wie damals, wenn sie einander nach dem Unterricht zufällig im Flur begegneten, sie ihn ansah und sagte: »Na, Klaus? Alles klar?«
    Zu seiner eigenen Überraschung riss er jetzt die übriggebliebenen Glasstücke aus der Gummierung des Rahmens, hielt sich daran fest und stellte erst das eine, dann das andere Bein darauf ab. Anschließend machte er den Rücken rund und zog den Kopf ein, stieß sich ab und sprang nach draußen. Und nachdem er ein paar Schritte gegangen war, sah er die Bescherung: Das Pferd, oder besser das, was nach dem Aufprall davon übriggeblieben war, bot allen Umstehenden einen grauenvollen Anblick. Aus dem geborstenen Leib hingen die Därme heraus, Blut und Hirn waren über Gleise, Schwellen und Schotter verteilt, und die Vorderläufe des Tieres waren vom Körper abgetrennt.
    Entsetzt wandte Bronnen seinen Blick von dem in der Spätnachmittagssonne glänzenden Kadaver ab und ging auf einen der vier Feuerwehrleute zu: »Warum tun Sie denn nichts? Sie müssen die Tür aufbrechen, verdammt noch mal, und den Fahrer rausholen! Der Mann braucht ärztliche Hilfe! Aber schnell!«
    Zuerst verstand er nicht, als die Männer zu kichern begannen. Und so rief er: »Was ist denn? Was ist los mit Ihnen?«
    Doch statt zu reagieren, forderte der Feuerwehrmann die Bauern auf: »Schaffen Sie das Tier weg!«
    Die Worte des Mannes klangen gedehnt und unbeholfen. Verständnislos sah Bronnen die Bauern an, doch die schienen noch immer nur Augen für das tote Tier zu haben.
    |48| Da entriss er dem, der die Fenster eingeschlagen hatte, den Hammer, lief damit zu der blutverschmierten Wagentür und schlug so lange dagegen, bis sie endlich nachgab. Schweißüberströmt ließ Bronnen den Hammer ins Gras fallen und rief in Richtung der Feuerwehrleute: »Jetzt holt ihn endlich raus, ihr verdammten Arschlöcher!« Doch er erntete nur Gelächter.
    Der junge Mann, der ihm die ganze Zeit über durchs offene Fenster hindurch zugesehen hatte, sprang nun ebenfalls aus dem Zug, gefolgt von seiner Frau, die ihm zuvor das Baby überreicht hatte.
    Als endlich einer der Feuerwehrleute einstieg, um sich um den Zugführer zu kümmern, roch Bronnen den Alkohol und begriff, weshalb sich die Männer so seltsam verhielten.
    »Dann holen eben Sie einen Arzt, verdammt noch mal!«, forderte er nun von den Bauern, die kaum ihre Köpfe hoben. »Einen Arzt! Na los, wird’s bald!«

    Hinterher, als alles vorbei war und sie neben den Gleisen standen und zusahen, wie die Sanitäter den Verletzten auf eine Trage schnallten und in den Wagen schoben und mit Blaulicht davonfuhren, blickte er sich nach der Brünetten um. Sie stand etwas abseits unter einem Baum und rauchte eine Zigarette. Bronnen überlegte kurz, dann lief er zu ihr und sagte entschlossen: »So, und nun sagen Sie mir Ihren Namen, okay?«
    Da hob sie das Kinn, strich sich lässig eine Strähne aus der Stirn und sah ihn lächelnd an. »Ich heiße Anna. Anna Wallot. Und wie heißen Sie?«

|49| Vier
    William Spencer war neunundfünfzig Jahre alt, dürr und knochig, und sein helles Haar wurde licht und grau. Seine Kindheit hatte er in Enfield, einem Vorort Londons, verbracht und war nach der Schule für einige Jahre ins Ausland gegangen, nach Australien und Nigeria.
    Nun war er nach Zürich gekommen, um mit einem Anwalt die Formalitäten für die Scheidung von seiner Frau Esther, einer gebürtigen Schweizerin, zu erörtern. Nach ihrer Trennung hatte Esther es vorgezogen, England, wo sie acht Jahre gemeinsam gelebt hatten, wieder zu verlassen und Zuflucht in ihrem Heimatland zu suchen, das sie

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