Leonardo und der Fluch des schwarzen Todes (Da Vincis Fälle) (German Edition)
Werk.
Er öffnete den Kasten mit der Vogelmumie. Vorsichtig begann er damit das dunkel verfärbte Leinen abzuwickeln, das den gesamten Körper des Vogels einhüllte. Auch der Schnabel war mit Leinen um-wickelt. Als Leonardo ihn freigelegt hatte, sah er ihn sich ganz genau an, verglich ihn mit dem Bild, das Onkel Francesco ihm gegeben hatte und außerdem noch mit seiner Papyrus-Abschrift.
An den Händen klebte bereits etwas von der schwarzen Masse, bei der sich Leonardo jetzt vollkommen sicher war, dass es sich tatsächlich um Bitumen handelte.
„Nein, ein Ibis kann das nicht sein“, murmelte er. Carlo sah seinem Freund eine Weile zu und bei manchem, was Leonardo tat, fragte er sich, ob es wirklich nötig war, so genau nachzusehen.
„Denk dran, dass die Mumie hinterher wieder picobello aussehen muss!“, gab er nochmals zu bedenken.
Aber Leonardo hörte überhaupt nicht zu. Er war einfach zu vertieft in seine Tätigkeit. Nichts anderes als diese Mumie schien im Moment für ihn zu existieren. Sein Blick wirkte angestrengt und sehr konzentriert. Dann sprang er plötzlich auf und stieß hervor: „Das kenne ich irgendwoher!“
„Nicht so laut! Dein Großvater!“, flüsterte Carlo.
Doch nicht einmal darauf achtete Leonardo jetzt noch.
Er holte die Kiste mit den Knochen des Storchs hervor und kramte darin herum. Abwechselnd nahm er mal den Schädel samt Schnabel, dann wieder die Füße oder einen Teil des Flügelskelettes hervor und verglich die Knochen mit dem, was er bei der geöffneten Mumie vor-fand.
„Ich hab’s“, sagte er.
„Und?“, fragte Carlo. „Können wir den Vogel noch zurückbrin-gen, bevor auf mindestens vier Höfen die Hähne zu krähen anfangen?“
Eine der Kerzen erlosch jetzt. Sie war in der Zwischenzeit vollkommen herunter gebrannt.
„Dieser Vogel ist kein Ibis – sondern ein Storch. Das ist der Beweis, dass dieser angebliche Doktor gelogen hat! Er hat einfach ein paar tote Vögel mit Bitumen gefüllt, sie auch von außen damit bestri-chen und um alles Leinen gewickelt, damit es so aussieht wie eine Mumie. Keine Ahnung, wer ihm gesagt hat, dass der Ibis damals ein heiliger Vogel war – aber ein bisschen Ahnung scheint er von der Sache tatsächlich zu haben.“ Leonardo wandte sich an Carlo. „Dass Doktor Petronius die Einwohner von Vinci betrogen hat, wissen wir jetzt. Nun müssen wir noch beweisen, dass Alberto mit ihm zusammengearbeitet hat… Aber wenn ich morgen nach San Luca reite, bekomme ich das sicher heraus!“
„Ich komme mit!“, sagte Carlo.
„Gut.“
Carlo deutete auf die zerfledderte Mumie: „Meinst du, du kriegst das wieder einigermaßen hin!“
„Ach was, wir tun das einfach in die Kiste und bringen sie zurück in euren Kühlkeller.“
„Aber…“
„Dein Vater wird in den nächsten Tagen sicher anderes zu tun haben, als dauernd nach seiner Mumie zu schauen, meinst du nicht auch? Und bis er sie sich das nächste Mal ansieht, werden wir ohnehin für alle einleuchtend bewiesen haben, dass das ein großer Schwindel war und die Mumie nichts wert ist!“
Auf Carlos Stirn glänzte schon ein Schweißtropfen.
„Du hast es mir versprochen.“
Aber ein Blick auf den Zustand der Mumie und die Knäuel von abgewickelten Leinenstreifen sagte jedem, dass es vollkommen unmöglich war, alles wieder schnell genug in seinen Urzustand zu ver-setzen.
Dazu war Leonardos Forscherdrang einfach zu gründlich gewesen.
8. Kapitel
Der Ritt nach San Luca
Carlo half Leonardo dabei, die Überreste der Mumie wieder in den Kasten zu räumen. Anschließend wurde sie von ihnen zurück in den Kühlkeller gebracht.
„Wir sollten morgen in aller Frühe aufbrechen, um nach San Luca zu gelangen“, sagte Leonardo noch zu Carlo.
„Morgen in aller Frühe? Leonardo, das ist gleich ! Hast du nicht den Schimmer hinter dem Horizont gesehen? Das sind nicht die Lichter von Florenz sondern die Morgensonne!“
„Trotzdem. Versuch wach zu werden!“
„Versuch es erstmal selber! Ich nehme an, du hörst nicht mal die Hähne“, meinte Carlo und unterdrückte dabei ein Gähnen.
Am nächsten Morgen hörte Leonardo tatsächlich die Hähne nicht.
Weder den ersten noch den zweiten, dritten oder vierten. Was ihn schließlich weckte waren die Sonnenstrahlen, die durch das Fenster direkt in sein Bett fielen und in seinem Gesicht kitzelten.
Leonardo fuhr hoch, denn ihm fiel augenblicklich wieder ein, was er sich vorgenommen hatte.
„Leonardo? Willst du etwas essen?“
Erst
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