Lettie Peppercorn und der Schneehaendler

blutigem Zahnfleisch und einem drahtigen roten Bart beugte sich über die Reling und beäugte sie durch ein riesiges Fernrohr.
    »Was auch immer das sein mag«, sagte Käpt’n McNulty, »es ist auf jeden Fall lebendig!«
    »Ich bin kein ›Es‹ …«, setzte Lettie an.
    Käpt’n McNulty griente und spuckte etwas Grünes ins Meer. »Und es kann sprechen.«
    »Dann wird’s wohl eine Meerjungfrau sein«, kam eine Stimme aus dem Hintergrund.
    »Tranmann Johnson, spar dir dein Gelaber«, sagte Käpt’n McNulty. »Das ist keine Meerjungfrau. Ist kein Fischschwanz dran. Sieht eher aus wie ein Mädchen.«
    »Aye? Und, ist sie hübsch?«, drang eine neue Stimme an Letties Ohr.
    »Nein, eher unansehnlich«, erwiderte der Käpt’n. »Kannst sie dir ja selber anschauen.«
    Schritte klonkten an Deck. Ein Seemann, dessen Nase durch Eiterpusteln und Geschwüre verunstaltet war, beugte sich über die Reling, um Lettie in Augenschein zu nehmen. »Also, eine Sirene ist das auch nicht. Die sind nämlich hübsch.«
    »Zurück an die Arbeit, Rotz-Hotte Charlie«, murmelte der Käpt’n, und der Matrose tat, wie ihm geheißen.
    Lettie starrte Käpt’n McNulty an. »Ich bin weder eine Meerjungfrau noch eine Sirene. Und unansehnlich schon gar nicht. Ich bin Lettie Peppercorn, und ich will mit euren Passagieren sprechen.«
    Der Käpt’n polierte eifrig das Ende seines Fernrohrs und betrachtete Lettie weiter. »Lettie Pappercorn also, soso.« Dann drehte er sich weg und rief: »Wir haben Ihre Gastwirtin gefunden! Blau gefroren!«
    Lettie schluckte, als das Walross und die Glotzerin über ihr auftauchten. Ihre Augen sahen inzwischen wirklich furchterregend aus, blutrot vor Zorn und Schlafmangel, grün vor Habgier und Seekrankheit. Lettie hielt ihrem Blick so tapfer wie möglich stand.
    »Hievt sie mit dem Kran hoch!«, brüllte die Glotzerin erfreut. »Nach oben mit ihr!« Mit der ihr noch verbleibenden Hand kniff sie wie mit einem Greifer durch die Luft.
    Lettie fiel auf, dass die meisten Ringe an ihren Fingern verschwunden waren. Damit also hatten sie die Walfänger bezahlt: mit Gold. Ob es wohl auf der ganzen Welt keinen einzigen Erwachsenen gab, der nicht immer nur ans Reichwerden dachte?
    »Rotz-Hotte Charlie!«, bellte Käpt’n McNulty. »Holt sie an Bord!«
    Charlie drückte die Hebel, und der Kran schwang ächzend in Letties Richtung aus. Der verrostete Greifer senkte sich zu ihr herab und versuchte sie von den eisigen Wellen zu pflücken. Aber Rotz-Hotte Charlie war es nur gewohnt, tote Beute aus der See zu fischen – mit Lettie, die immer wieder auswich und außer Greifweite sprang, kam er nicht zurecht.
    »Ich bleibe lieber, wo ich bin, danke.«
    Die Glotzerin kniff die Augen zu und holte ihre silberne Pistole heraus. Dann klappte sie eine Linse, auf der kreuzförmige schwarze Linien prangten, vor ihre Sucherbrille. »Wir haben hier das Sagen!«, keifte sie. »Du bist unsere Gefangene!«
    »Vorsicht!«, ertönte die Stimme des Walrosses. »Sie hat Äther genommen. Die hat bestimmt irgendwas vor.«
    Ja, hab ich , dachte Lettie. Und zerquetschte zwischen den Mühlsteinen, in die sich Daumen und Handfläche verwandelt hatten, das trockene Pfefferkorn zu feinem Pulver.
    Mach, dass sie weiterreden , flehte sie innerlich. Nur noch ein Weilchen .
    »Ich weiß, Sie wollen die Schneewolke haben …«, begann sie.
    »Natürlich wollen wir die!«, schrie das Walross. Dann fingen beide an, alles aufzuzählen, was sie haben wollten – und wofür sie ganze Ozeane überqueren würden.
    »Wir wollen die Diamanten!«
    »Und den Äther!«
    »Ich will meine Hand zurück!«
    »Und ich will diesen Mistkerl von Schneehändler in eine Teekanne verwandeln!«
    »Aber mehr als alles andere wollen wir den Schnee!«
    »Und zwar sofort!«
    Lettie ließ sie reden, die Hand um das Pfefferpulver geschlossen.
    Lettie Peppercorn, setz dich in Bewegung. Jetzt oder nie!
    Sie hob die Hand an die Nase und sog das Pulver ein.
    Eine Sekunde lang schwebte sie ein Stück über dem Wasser. Der Pfeffer juckte und brannte in ihrem Kopf. Dann holte sie tief Luft und …
    »Haaaaaaa-TSCHIIII! Haaa-TSCHIIII! Haaa-TSCHIIII!«
    Die drei mächtigsten Nieser ihres Lebens entluden sich übers Meer. Jeder einzelne katapultierte sie ein Stück nach hinten.
    Lettie öffnete die Augen und wischte sich die gefrorenen Tränen weg. Hatte ihr Plan funktioniert?
    »Jaaa!«, brüllte sie und führte mitten auf dem Meer ein kleines Freudentänzchen auf.
    Das Wasser rund um die