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Letzte Beichte

Letzte Beichte

Titel: Letzte Beichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen FitzGerald
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abzuhalten und sie … Ich habe sie versehentlich getötet, als ich vier Jahre alt war.«
    Ich bin daran gewöhnt, dass Leute mir ihren Privatkram erzählen – Sachen, die sie nie zuvor jemandem erzählt haben und die sie nun zu ihrer eigenen Überraschung an mich weitergeben. Ich habe wohl das richtige Gesicht dafür, oder zumindest stelle ich die richtigen Fragen. Leute haben mir schon immer aus heiterem Himmel ihre Geschichten aufgetischt: Ich habe meiner Mutter den Fernseher geklaut, ich habe meinen Mann geschlagen, ich habe mit Guiseppe aus dem Sportstudio gevögelt, ich habe eine schrecklich juckende Entzündung im Genitalbereich. Aber das hier übertraf alles, was ich je gehört hatte, und so wusste ich nicht recht, wie ich reagieren sollte. Was sagt man zu jemandem, der als Kleinkind seine kleine Schwester getötet hat? »Und? Wie hat sich’s angefühlt?«
    In meinem Kopf drehte sich alles. Mir war klar, dass mein neutraler, unvoreingenommener Gesichtsausdruck verrutscht war und den Blick auf eine entsetzte Miene mit weit aufgerissenem Mund freigegeben hatte, der » DU LIEBER HIMMEL , SIE HABEN WAS ?« zu schreien schien.
    Er sackte in sich zusammen und vergoss Tränen auf den kalten Tisch zwischen uns. Mir war ebenfalls nach Weinen zumute. Was er getan hatte, war furchtbar. Seine kleine Schwester war tot. Und er hatte dafür gebüßt, jeden Tag.
    Ehe ich wusste, wie ich auf seine Tränen reagieren solle, hatte er sich wieder im Griff. Er bedankte sich bei mir und bat mich, ihn wieder zu besuchen. Dann bat er mich zu gehen. Andernfalls hätte ich wahrscheinlich ewig dagesessen und sprachlos auf seinen zuckenden, in die Hände gesenkten Kopf geschaut. Der Mann, den ich befragte, hatte aus Versehen ein Baby getötet. Er hatte das Leben aller zerstört, die er liebte, sein eigenes inbegriffen, und das im Alter von vier Jahren – nur ein kleines bisschen älter als mein kleiner Robbie.
    Nachdem er den Raum verlassen hatte, sammelte ich meine Notizen ein und stellte fest, dass ich nur wenige Zeilen aufgeschrieben hatte:
    Name: Jeremy Bagshaw
    Geburtsdatum: 21.7.1976
    Adresse: 67 Station Street, Islington, London
    Zur Zeit in Untersuchungshaft in JVA Sandhill, Glasgow
    Anklage: Mord

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10
    Chas versicherte mir, dass zu Hause alles in bester Ordnung sei, und so ging ich mit den Kollegen nach der Arbeit in ein Pub im West End, um meinen ersten Arbeitstag zu feiern. Den ganzen Tag lang hatte ich Danny bestaunt und jede seiner Bewegungen genau beobachtet. Er war makellos angezogen, wirkte selbstbewusster und entspannter als alle, die ich kannte, und er war der lustigste Bursche, der mir je über den Weg gelaufen war.
    Im Taxi erzählte er mir, dass er einen Bericht über den sozialen Hintergrund eines Stalkers geschrieben habe. In dem Abschnitt über den Tagesablauf des Täters habe gestanden: »Mr. Jones surft gern im Internet und geht mit seinem Hund im Park onanieren.«
    »Amtsrichter Ross hasst Sozialarbeiter. Also zitiert er mich zu sich«, sagte Danny, »und droht mir mit einer Anzeige wegen Missachtung des Gerichts.«
    »Das ist natürlich ein Tippfehler«, hatte Danny dem Amtsrichter erklärt. »Es muss ›spazieren‹ heißen.«
    »Halten Sie hier an«, sagte Danny dem Taxifahrer. Aus irgendeinem Grund wusste er, dass wir unser Ziel erreicht hatten. »Setzen Sie uns einfach an der Ecke ab.«
    Als Danny aus dem Taxi stieg, seinen Stock aufklappte und Geld aus seiner Brieftasche holte, sah der Fahrer, dass er blind war.
    »Dann hören Sie also einfach Musik?« fragte der Fahrer, während Danny sein Wechselgeld abzählte.
    »Genau, ich höre einfach Musik«, antwortete Danny. Um es dem Fahrer leichter zu machen, fing er eine Unterhaltung über Glasgower Bands an.

    Später erzählte er mir von einer Reihe ähnlicher Erlebnisse, bei denen Leute grotesk auf seine Behinderung reagiert hatten.
    Eines Abends war er vom Amtsgericht nach Hause gegangen, wo er eine Zeugenaussage über einen Drogendealer gemacht hatte, der unter seiner Aufsicht stand. Er sagte, er habe die beiden Säufer aus einer Meile Entfernung am Geruch ihrer mit Scheiße verbackenen Klamotten erkannt. Sie hatten unter einer Brücke gelegen und mit aller Kraft ihre Pullen mit Dessertwein umklammert, als Danny mit seinem Stock vorbeigegangen war.
    »Und ich dachte, wir wären schlecht dran«, hatte Suffkopp Nummer 1 gesagt.
    »Das hätte uns auch blühen können«, hatte sein Freund gesagt.
    Ich selbst war um nichts besser. An diesem Abend im

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