Leuchtendes Land
weigerte sich, dem Bild Glauben zu schenken.
»Ich weiß, was geschehen ist«, dachte er, löschte dann aber diese Erinnerung aus seinem Gedächtnis und ersetzte sie durch seine eigene Version dessen, was sich jüngst ereignet hatte. »Ich bin geschwommen. Wurde von einem Hai angegriffen. Ich habe mich bis zum Strand geschleppt, bin aber nicht weitergekommen. Ich bin verletzt. Schwer verletzt. Kein Wunder, dass ich erst jetzt zu mir gekommen bin.«
An den eigentlichen Angriff konnte er sich verständlicherweise nicht erinnern. Er hatte um sein Leben kämpfen müssen. Kämpfte immer noch.
»Hai!«, schrie er. »Hai!«
»Nein«, sagte Alice, »nein, das war es nicht. Kannst du dich nicht erinnern, Clem?«
Da war es wieder. Irgend etwas. Nur eine Sekunde lang. Erschreckend. Falsch. Unmöglich! Er zuckte zurück, und der Schmerz flammte wieder auf, doch das war ihm egal.
»Hai!«, erwiderte er trotzig. Seine Brust war zerfetzt, sein Bein ebenfalls. Konnte sie das denn nicht sehen?
Thora stand auf den Dünen. Ihr dunkelblauer Mantel flatterte im Wind, ihr schönes Haar tanzte wild um ihren Kopf. Sie schaute ihn nicht an. Er rief ihr etwas zu, doch seine Stimme war nur ein Schrei.
»Thora!«
Alice ergriff seine Hand und drückte sie an ihr Gesicht. Ihr weiches, warmes Gesicht. Das tröstete ihn. Vermittelte ihm das Gefühl der Geborgenheit.
»Hatte ich wieder einen Sonnenstich?«
»Nein, Clem. Du bist im Krankenhaus in Perth.«
»Was tust du hier?«
»Ich besuche dich. George ist auch hier.«
»Wo ist Thora?«
Als er keine Antwort erhielt, wurde ihm schwindlig, und er begriff, dass die Wahrheit schlimmer war als jeder Fiebertraum.
»Ich bin angeschossen worden«, gestand er sich endlich ein. Der betroffene Ausdruck auf ihren Gesichtern bestätigte es.
»Werde ich sterben?«, fragte er. Es schien ihm fast die beste Lösung zu sein.
»Mein Gott, nein!«, rief Alice. »Daran darfst du nicht einmal denken. Dir geht es schon wieder ganz gut. Die Ärzte sagen, du seist stark wie ein Ochse. Sie können gar nicht fassen, dass du dich so schnell erholt hast.«
»Das macht das gute Leben in Perth«, scherzte George.
»Ist er dir ein guter Ehemann?«, wollte Clem wissen.
»Der beste«, entgegnete Alice lächelnd. »In letzter Zeit braucht er allerdings eine starke Hand.«
»Du machst das schon.«
Dann ruhte er sich aus. Niemand sagte etwas. Zumindest nichts, an das er sich hätte erinnern können.
Am nächsten Tag wurde er untersucht und an Brust und Rücken neu verbunden. Sie waren voller blutiger Stiche.
»Ist die Kugel durch mich hindurchgegangen?«
»Nein, Sir«, antwortete die Krankenschwester in sachlichem Ton. »Sie hat Ihre Lunge gestreift. Sie haben es von vorn versucht, sind aber nicht drangekommen, weil sie ziemlich weit hinten stecken geblieben war. Einige Rippen sind ebenfalls gebrochen. Vermutlich durch den Sturz.«
»Und mein Bein?«
»Die Kugel steckte in Ihrem rechten Oberschenkelmuskel. Für eine Weile dürfte Ihnen das ziemlich zu schaffen machen.«
Clem schaute hoch zu der Frau, deren graues Haar unter einem Schwesternhäubchen hervorlugte. Er fand sie sympathisch. »Sie kennen sich mit Schußwunden aus, was?«
»In der Tat, Mr. Price. Ich bin in den Kimberleys aufgewachsen, wo man als Erstes lernt, wie man schießt, und dann, wie man die Kugeln wieder herausholt. Ich könnte den Ärzten das eine oder andere beibringen, doch sie wollen nicht auf den Rat einer Frau hören.«
Sie verband ihn fertig, glättete sein Laken und schüttelte das Kissen auf.
»Würden Sie mir einen Gefallen tun?«, fragte er.
»Sicher.«
»Reden Sie mit mir.«
»Worüber?«
»Darüber, wer auf mich geschossen hat. Das Thema scheint hier tabu zu sein. Es war meine Frau, nicht wahr?«
»Ja.«
»Und?«
»Ich weiß auch nur, was in der Zeitung steht.«
»Das reicht mir schon.«
Er hatte genug. Sie entschuldigte sich und brachte ihm eine Tasse Kakao zur Beruhigung.
Clem dankte ihr. Sie hatte ihn über die Tatsachen aufgeklärt, so nüchtern, als wäre es das Normalste von der Welt, dass Frauen auf ihre Männer schossen. Vielleicht taten sie dies in ihrer Heimat, sinnierte er. Dann drehte er das Gesicht zur Wand und hielt verzweifelt Zwiesprache mit Thora.
»Warum haßt du mich so sehr?«
In den nächsten Tage erfuhr er weitere Einzelheiten, die ihn verwirrten und seinen Zorn entfachten. Wut war leichter zu ertragen als ein gebrochenes Herz. Die Polizei, Alice und das Ehepaar Carty kamen, die
Weitere Kostenlose Bücher