Liberty: Roman
Es ist einfach erbärmlich, dass ich nicht weiß, was … ich sagen soll.
»Was ist los, Christian?«, fragt sie mich. Ich zünde mir eine neue Zigarette an.
»Wir waren vorgestern auf einem Fest bei Samanthas älterer Schwester.« Ich erzähle ihr vom Fest, von Victor.
»Sie hat es im Augenblick ziemlich schwer«, sagt Shakila.
»Na ja, aber wieso?«
»Sie …«, beginnt Shakila, bleibt stehen und legt eine Hand auf meinen Arm; ich bleibe ebenfalls stehen. Sie schaut mir in die Augen. »Du darfst das niemandem erzählen, Christian. Ich darf das eigentlich nicht sagen.«
»Okay«, nicke ich.
»Sie hat letztes Jahr eine Abtreibung gehabt.«
»Wer?«
»Samantha.«
»Nein!«
»Doch. Ich weiß es von meinem Vater«, sagt sie. Shakilas Vater – der Arzt.
»Aber wer …«
»Das weiß ich nicht, aber es ist schwer für sie. Es ist ihr nicht leicht gefallen.«
»Ja, aber dann nützt es doch nichts, eine Affäre mit einem Mann zu haben, der ihr Vater sein könnte und obendrein verheiratet ist.« Ich gehe weiter und kneife hinter der Sonnenbrille die Augen zu, um die Tränen zurückzuhalten. Wer mag der Vater gewesen sein? Stefano? Baltazar, Mick, Victor? Der Gedanke ist nicht auszuhalten.
Wir gehen ohne ein Wort weiter bis zum Strand.
»Wer ist als Erster drin?«, ruft Shakila und fängt sofort an, sich das T-Shirt auszuziehen. Hastig streife ich die Schuhe ab. Wir werfen uns in die Wellen. Schwimmen, spielen Fangen. Shakila ist hübsch. Ich muss aufhören, an Samantha zu denken.
»Lasst uns eine Zigarette rauchen«, sage ich. Wir waten durch die Brandung und wollen uns gerade in den Sand werfen, als Samantha auf ihrem Motorrad erscheint, mit Jarno auf dem Rücksitz. Shakila wirft mir einen ernsten Blick zu. Sie legen sich neben uns.
Samantha schaut mich an: »Bleibst du die ganzen Ferien in Dar?«
»Nein, ich will noch nach Shinyanga, meinen Vater besuchen, außerdem soll ich mich mit ihm in Moshi treffen.«
»Und was ist mir dir, Shakila?«
Shakila lächelt.
»Auf die Universität nach Kuba.«
»Hast du ein Praktikum bekommen?«
»Ja. Mein Vater hat den Leistenbruch des kubanischen Botschafters operiert und ihm ein sehr billiges Ferienhaus in Pangani verschafft. Sie spielen Golf zusammen«, erzählt Shakila, noch immer lächelnd.
»Das ist doch fantastisch«, meint Jarno.
»Das ist normal«, antwortet Shakila. »Wenn Kanada zwanzig Studienplätze als Auslandshilfe finanziert, dann stehen alle Freunde des Kultusministers am Flughafen und winken ihren Kindern zum Abschied, die alle in Kanada studieren sollen. Und der Minister hat plötzlich ganz viele feine Knochen abzuknabbern.« Shakila zuckt die Achseln.
»Verflucht, wieso wollt ihr alle weg?«, fragt Samantha.
»Wir wollen weg«, erwidert Shakila, »weil Gott Afrika vergessen hat.«
»Und was willst du machen, Christian?«
»Was meinst du?«
»Willst du wieder nach Hause und zur Schule gehen, oder bleibst du hier, aber, fuck, wovon willst du leben?«
»Noch ein Jahr zur Schule. Und dann vielleicht eine Taucherausbildung in Dänemark und ein Tauchzentrum für Touristen hier in Dar oder irgendwo an der Küste starten.«
»Da wird niemand kommen«, meint Samantha. »Wir hatten so was in Tanga, aber sowohl Tanga wie auch Dar sind zu weit weg von der nördlichen Touristenroute. Es funktioniert nicht. Wer tauchen will, geht nach Mombasa oder auf die Seychellen.«
»Ich habe auch schon daran gedacht, in Moshi eine Diskothek zu eröffnen.«
»Du hast keine Anlage.«
»Ich kann was in Dänemark besorgen. Ich muss nur die Möglichkeiten abchecken, dann könnte ich eine Anlage hierherschicken und in einem Jahr anfangen.« Samantha erwidert nichts. Wenn sie in England ist, könnten wir uns dort oder in Dänemark treffen. Aber ich kann das nicht vorschlagen, denn sie behandelt mich, als wäre es ihr lieber, wenn ich verschwände.
»Wann fliegst du nach England?«
»Ich weiß nicht, ob ich nach England gehe … Und was hast du in den nächsten Tagen noch so vor?« Sie fragt, obwohl es ihr eindeutig egal ist.
»Ich geh schwimmen«, antworte ich, stehe auf und laufe ins Wasser. Shakila und Jarno kommen nach. Samantha bleibt am Strand und zündet sich eine Zigarette an. Wir bespritzen uns. Shakila steigt nass und schwarz glänzend aus dem Wasser und wälzt sich in dem feinen Sand, der große Teile ihrer Haut hell werden lässt.
»Würde es dir besser gefallen?«, fragt sie mich.
»Was?«
»Wenn ich weiß wäre?«
»Nein, zum Teufel, wasch’s
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