Liberty: Roman
verhauen, aber jetzt will er nur noch Chantelle. Wenn er den Hintern versohlt bekommt, muss die Frau aussehen wie eine große Mutter, darauf steht er.« Endlich geht mir ein Licht auf.
»D’Souza!? Oh, nein, das kann doch nicht wahr sein?«
Sie schauen mich nur an und ziehen die Augenbrauen hoch.
Rachel rüttelt mich im Bett wach: »Du musst deinen Freund abholen.« Ich schlage die Augen auf, schaue durch die Gitterstäbe und das Moskitonetz auf die Morgendämmerung – grau.
»Anders heißt er«, sage ich.
» Anas «, imitiert Rachel meine dänische Aussprache, als sie in die Küche geht. Ich setze mich auf die Bettkante und reibe mir übers Gesicht. Anders. Ja. Ich lächele vor mich hin, stehe auf und ziehe mir dicke Sachen an, die Morgenstunden sind kühl. In der Küche hat Rachel bereits Milch und Wasser gekocht und den Tee aufgegossen. Jetzt achtet sie auf die Toastscheiben, die auf dem Ofenrost über den Kochplatten liegen – sie kann ein paar Scheiben mit der Restwärme rösten, wenn der Kessel gekocht hat. Ich esse eine Mango, Toast mit Erdnussbutter, trinke Tee mit Milch und Rohrzucker. Rachel sitzt mir gegenüber. Halima ist die nächsten vierzehn Tage zu Hause bei ihrem Großvater im Dorf, weil Anders uns besucht und wir ein bisschen mit ihm herumziehen wollen.
»Hast du Geld, um in die Stadt zu kommen?« Rachel will einkaufen und zu ihrem Englischkurs im KNCU -Gebäude.
»Ja, ich habe genug«, sagt sie. Ich stehe auf und stelle mich hinter sie.
»Danke fürs Frühstück«, sage ich, beuge mich vor und küsse ihren Hals. Sie streckt die Arme aus und streicht mir übers Haar, und ich lege die Handflächen auf ihre warme Haut unter der Armbeuge. Meine Fingerspitzen spüren ihre Rippen und die Rundungen, an denen ihre Brüste beginnen. »Wollen wir wieder ins Bett gehen?« Eine Hand lässt meinen Kopf los und versucht, mir einen Klaps auf die Schenkel zu geben.
»Also!«, sagt sie. » Tsk . Ab mit dir.«
Als ich aus der Toilette komme, hat Rachel sich wieder ins Bett gelegt. Ich kann nicht erkennen, ob ihre Augen offen sind. Wer weiß, was Anders von ihr halten wird? Dasselbe wie ich? Dass sie unwiderstehlich ist? Ich freue mich darauf, mit ihm zu reden. Ich vermisse es, mit einem Weißen zu sprechen, der versteht, woher ich komme … jedenfalls zum Teil.
Die Sonne kommt heraus, ich spüre es am Rücken, als ich zum Flughafen fahre. Ich überhole einem Valmet-Traktor, der zwei Leiterwagen mit Stämmen vom West-Kilimandscharo zieht – Marcus’ alter Arbeitsplatz. Es ist einige Zeit her, seit ich Marcus das letzte Mal gesehen habe.
Noch sind nur wenige Menschen unterwegs. Ich lande hinter einem Lastzug mit brennbarer Flüssigkeit, als die Straße sich westlich von Moshi zur Flussbrücke in die Schlucht hinunterwindet. Der Lastwagen spuckt stinkenden schwarzen Dieselrauch aus, doch sobald wir die Brücke hinter uns haben, winkt der Fahrer mir zu – freie Bahn. Aber ich bleibe noch ein Stück hinter ihm. Viele Menschen sind in Tansania bei dem Versuch gestorben zu überholen. Meine kleine Schwester Annemette – sie wäre jetzt sieben Jahre alt. Es gibt nur einen schmalen Randstreifen neben den scharfen Steinwänden auf beiden Seiten der Straße, und durch die Kurven ist die Sicht begrenzt. Der entgegenkommende Verkehr fährt ziemlich schnell in die Senke, und viele haben schlechte Bremsen. Um zu überholen, muss man zügig beschleunigen. Es ist riskant.
Ich biege zum Kilimanjaro International Airport ab. Vieles ist hier passiert: Ankünfte und Abschiede. Meine kleine Schwester im Sarg. Mutter. Ich selbst – von zu Hause … oder nach Hause? Ich verdränge diese Gedanken und fahre an der Abzweigung zum Merelani Township vorbei, wo es zu den Tansanit-Minen geht. Ich halte vor dem Schlagbaum zum Flughafengelände, kaufe einen Parkschein und fahre das letzte Stück bis zum Flughafengebäude.
Die Maschine ist noch nicht gelandet. Es wird allmählich wärmer. Ich gehe zu einer Bar und trinke eine Tasse Kaffee. Die Schwalben fliegen hastig und geschickt über das Gebäude. An den Wänden hängen Plakate: ein rotes Herz auf weißem Hintergrund. In dem Herz steht Take Care . Und darunter: Beware of AIDS . Aber was ist Aids, und wie kann man aufpassen? Darüber steht nichts auf dem Plakat, denn das ist tabu.
Nach dem Kaffee steige ich auf die Dachterrasse, um mir die Landung der Aeroflot-Maschine anzusehen; Anders kann sich nichts Besseres leisten. Es dauert nicht lange, bis er aussteigt. Ich rufe und
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