Liberty: Roman
Katriina behält sie im Haus.
»Mmmm …«, macht Rebekka.
»Versuch mal, Mama zu sagen«, fordert Katriina sie glücklich auf.
»Mmmm …«, macht Rebekka. »Maku.« Es ist ganz still.
»Nein«, sagt Katriina, ihre Stimme ist dick wie Maisgrütze.
»Zum Teufel«, sagt Jonas. Rebekka juchzt: »Maku, maku, maku.« Marcus. Das bin ich. Ich lege vorsichtig das Messer aufs Schneidebrett und schleiche mich aus der Hintertür, in mein Zimmer. Maku. Meine weiße Tochter sagt meinen Namen. Tränen stehen mir in den Augen.
In der nächsten Woche gehen sie nicht in den Moshi Club, sie wollen mich auch nicht im Haus haben, sie wechseln selbst die vollgekackten Windeln. Wenn sie nicht bemerken, dass ich mir aus der Küche etwas zu essen hole, höre ich sie üben.
»Kannst du Mama sagen, Schatz? Mama, Mama, Mama«, spricht Katriina ihr vor.
»Maku«, sagt Rebekka.
Christian
»Sie braucht einen anderen Sarg«, erklärt Mutter während des Anflugs auf Kastrup.
»Wieso denn?«, fragt Vater.
»Sie soll nicht in einem Sarg begraben werden, der von Jonas stammt.«
Vater ist einen Moment still. »Okay«, sagt er dann.
Ich stehe am Gepäckband und schaue Mutter an. Sie raucht Kette und wirkt vollkommen ausgebrannt.
»Du holst unser Gepäck«, sagt sie zu mir und geht mit stierem Gesichtsausdruck zur Toilette. Vater unterhält sich mit jemandem vom Außenministerium – Annemettes Sarg soll vom Flugzeug in einem Leichenwagen nach Køge transportiert werden. Die Koffer kommen. Ich gehe mit Mutter durch den Zoll.
»Kirsten!«, ruft ein großer Mann im Anzug. Mein Onkel Jørgen, Vaters älterer Bruder, der im Innenministerium arbeitet. Linkisch umarmt er meine Mutter, sagt ein paar Worte, nimmt unsere Koffer und trägt sie hastig zu seinem Mercedes auf dem Parkplatz.
Es ist Sommer. Er fährt uns zu seiner großen Wohnung in Østerbro. »Ich muss zurück ins Ministerium«, sagt er. »Kommt ihr allein zurecht?«
Mutter antwortet nicht.
»Ja«, sage ich.
Er geht.
»Ich habe ihn noch nie gemocht«, sagt Mutter. Ich zünde mir eine Zigarette an. Mutter starrt aus dem Fenster. Ich gehe in die Küche und esse etwas, trinke Kaffee. Nach einer Stunde kommt Vater in einem Taxi.
»Wir können morgen Vormittag zum Leichenbestatter in Køge«, verkündet er. Mutter reagiert nicht. Er geht zu ihr, umarmt sie. »Lass das«, sagt sie. »Ich gehe vor die Tür.« Sie verlässt die Wohnung. Vater seufzt. »Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
»Ich brauche eine neue Hose. Für das Begräbnis.«
»Ja.« Vater gräbt in seiner Hosentasche nach Geld, gibt mir ein paar große Scheine.
»Willst du nicht mitkommen?«
»Nein, ich muss hier sein, wenn deine Mutter zurückkommt.«
Er sucht den Stadtplan im Telefonbuch, reißt die Seite heraus, zeichnet ein, wo wir sind und wo ich hinmuss. Endlich bin ich auf der Straße – und atme tief durch. Folge der Karte. Es ist seltsam, in Dänemark zu sein, aber mir ist es vollkommen egal. Ich halte es nur nicht in einem Zimmer mit ihnen aus. Ist mit mir irgendetwas nicht in Ordnung? Ich spüre Annemettes Tod überhaupt nicht. Was erwarten sie, was soll ich tun? Ich muss nur still sein – und darauf warten, dass es vorbei ist. Die Sonne scheint. Ich kaufe eine Jeans, eine Sonnenbrille, ein schwarzes Hemd und dunkle Lederschuhe. Rauche Zigaretten und trinke Cola in einem Park, bis ich zurückmuss.
Wir haben ein großes Gästezimmer bei Onkel Jørgen. In der Nacht schluchzt Mutter. Vater tröstet sie. »Leg dich im Wohnzimmer aufs Sofa«, bittet er mich. Ich gehe und schaue auf die Lichter der Stadt – die Seen. Öffne ein Fenster und rauche. Schlafe ein.
Am nächsten Morgen fahren wir nach Køge. In der Kirche sind einige Familienmitglieder, ich kann mich nicht erinnern, wie sie heißen. Gebe ihnen die Hand, mein Gesicht ist eine vollkommen stumme Maske. Mutter weint, als sie den Sarg sieht, einen anderen Sarg. Sie weint die gesamte Zeremonie über. Ich trage Annemette mit hinaus in den Leichenwagen. Sie soll verbrannt werden. Wir treten aus der Kirche. Mutter heult gellend hinter mir auf. Ich drehe den Kopf um.
»Entschuldige, entschuldige!«, schreit sie und fällt auf dem Kopfsteinpflaster auf die Knie. Ich bekomme einen roten Kopf. Mutters jüngere Schwester Lene greift nach ihrem Arm, auch Onkel Jørgen hilft, sie hochzuziehen.
»Nimm dich zusammen, Kirsten«, sagt er leise.
»Lass mich los!«, zischt sie und reißt ihren Arm aus seinem Griff. Der Sarg wird in den Leichenwagen geschoben,
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