Liebe auf eigene Gefahr Roman
höre ich Wasser laufen, zur Begleitung der Arie der Königin der Nacht. »Mom?«, rufe ich noch einmal, widerstrebend, aber verzweifelt.
»Sie wünschen, Mylady?« Mit über den grauen Pullover gezogener Schürze und Karotte in der Hand erscheint sie an der untersten Treppenstufe.
Bekümmert schiebe ich die Zungenspitze in den Mundwinkel. »Tut mir leid, dass ich so eine Zicke war.«
»Was hat die Zicke gesagt?«, ruft Dad aus der Küche.
»Dass es ihr leidtut!«, schreie ich.
»Sag ihr, sie darf zum Abendessen bleiben«, sagt er, und der Wasserhahn verstummt.
Während Mom einfach nur wartend zu mir hochschaut, lasse ich den Kopf gegen das zierliche Treppengeländer sinken. »Also, mein Koffer ist im Kampf verschollen, und ich habe gerade die Reißleine gezogen, aber alles, was herausfiel, waren Sandalen mit Riemchen. Eigentlich war alles mit Riemchen.« Weil die Tasche zu einer Zeit gepackt wurde, als man noch als halb nackte Diskokugel herumlief.
»Aha …« Unbeeindruckt von meiner Humorattacke beißt sie in ihre Karotte.
»Deshalb …«, hebe ich hoffnungsvoll die Augenbrauen.
»Deshalb könnte es doch länger dauern als zwanzig Minuten«, sagt sie.
Mein Ärger bricht wieder hervor. »Deshalb müsste ich vielleicht das Auto leihen und mich mit Laura in der Mall treffen.«
»Das Haus verlassen? Du?«, fragt sie übertrieben ungläubig. »Du versteckst dich nicht einfach hinter geschlossenen Vorhängen und lässt Laura zu dir kommen?«
»Ich habe eine sehr logische, fundierte Strategie, wie ich mich durch diese Stadt bewege …«
»Deine Dornröschen-Nummer?« Sie macht eine kreisförmige Bewegung mit der Karotte.
»Warum sollte ich nicht zur Mall fahren können?«
Sie runzelt die Stirn. »Zwei Tage vor Weihnachten, da ist bestimmt die Hölle los.«
»Und?«
»Bei näherem Nachdenken also genau der richtige Zeitpunkt, um deine logische, fundierte Strategie fortzuführen.«
»Mom?«
»Ja?«, antwortet sie gelassen.
»Ich frage dich, ob ich das Auto leihen und zur Mall fahren kann.«
»Und ich sage dir, dass eine Fahrt zur Mall in den vierundzwanzig Monaten, seit du uns das letzte Mal zur Ferienzeit beehrt hast, zu einem sehr viel größeren Unternehmen geworden ist, als du denkst.«
Ich hole Luft und versuche es mit einem neuen Kurs, der auf den Kern ihrer Sorgen abzielt. »Okay, Mom, ich werde mich wahnsinnig beeilen und rechtzeitig zum Abendessen mit euch beiden zurück sein. Und wir verbringen die ganze Woche zusammen in Sarasota. Bis Silvester habt ihr die Nase voll von mir.«
»Nein, schon gut.« Trotz meiner Bemühungen verkrampft sich ihr Mund.
Ich schlage mit dem Kopf gegen das Treppengeländer. Vielen Dank auch, Jake Sharpe. Jetzt kauere ich hier tatsächlich auf der Treppe meiner Eltern und verhandle, verhandle darüber, ob ich das Auto leihen darf. »Dabei sollte ich eigentlich gar nicht hier sein«, stöhne ich.
»Es ist uns ein Vergnügen , dass du uns als deine Pflicht betrachtest«, sagt sie mit sarkastischer Fröhlichkeit.
» Mom «, seufze ich, kann ihr jedoch nicht widersprechen. »Mom«, sage ich noch einmal und suche nach etwas Gefühlvollem, mit dem ich sie besänftigen, mit dem ich eine Verbindung zu ihr herstellen kann. Aber wie immer bin ich aufgeschmissen, so aufgeschmissen, wie ich es in Sarasota oder Charleston nie bin, nur hier, wo das Schreckgespenst Jake die Luft zwischen uns dünn macht. Und jetzt lässt uns die Aussicht auf eine erneute Heimsuchung in ganz neue, luftarme Höhen steigen. Den Kopf an meinen Arm gelehnt, strecke ich die Hand nach ihr aus: »Mom? Kannst du mich zur Mall fahren?«
»Sag das noch einmal.« Sie legt die Karotte ans Ohr und schließt langsam die Augen.
Ich schiele hinunter und zwänge mein Gesicht zwischen den Stäben durch. »Kannst du mich zur Mall fahren? Bitte? «
Sie lächelt, und ihr Gesichtsausdruck wird weich, als sie die Augen öffnet. »Aah. Einen Moment lang … war ich wieder sechsundvierzig.«
SECHSTES KAPITEL
ACHTE KLASSE
»Every man’s got his patience and here’s where mine ends. I want your sex.« Ich schwinge die Hüften zur Musik, während ich mit meinen Schulkameraden bei der September-Rollschuhdisko meine Kreise durch die Turnhalle ziehe. Tanzend setze ich einen Rollschuh vor den anderen, wirble herum und gleite selbstsicher rückwärts, bis mir Lauras weit aufgerissene Augen auffallen. Als ich die Schweißperlen auf der Spitze ihrer Stupsnase bemerke, drehe ich eine Kurve um Tom Finkle, der sich
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