Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition)
Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich müde bin.“
Er streckte Sarah seine Hand hin, half ihr, aufzustehen, dann zog er seinen weichen Kaschmirpullover aus, um ihn Sarah um die Schultern zu legen.
„Du denkst an alles“, sagte Sarah gerührt.
„Beinahe“, erwiderte er.
Sie sahen sich an. Er senkte den Blick zuerst, nahm ihre Hand in die seine und hob sie feierlich: „Darf ich dann zur Besichtigungstour der Suite bitten?“
24. Kapitel
„ … wem der große Wurf gelungen, eines Freundes Freund zu sein…“ sang der große Chor und: „Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium, wir betreten Feuer trunken, Himmlische, dein Heiligtum…“
Dies war ein weiterer Moment, da Frederik ein Taschentuch an Sarah weiter reichen musste. Es war ihr peinlich, sie schämte sich in Grund und Boden für ihre Rührseligkeit, doch nachdem die Musik, der Gesang sie zunächst nur hatten frösteln lassen, drohten sie nun endgültig die Tränen zu überwältigen.
Sarah war hingerissen, mehr noch, etwas in ihr gab nach, gab auf, wehrte sich nicht länger gegen die monatelange absolute Beherrschung, die sie wie eine Wand in sich aufgebaut hatte, um Emotionen, die sie aus dem Gleichgewicht hätten bringen können, nicht zuzulassen.
Und nun saß sie in der Konzerthalle von Auckland und ihre Tränen wollten gar nicht aufhören, zu fließen, sodass die Taschentücher schon bald nicht mehr ausreichten, um sie zu trocknen.
Frederik wiederum war daran gewöhnt, weinenden Frauen mit Taschentüchern auszuhelfen. Er erlebte fast täglich in seiner Praxis, dass während eines Therapiegesprächs urplötzlich Tränen zu strömen begannen. Das hieß aber nicht, dass es ihn unberührt ließ oder zur Routine geworden war, wenn in seiner Gegenwart ein Mensch weinte. Im Gegenteil, er wusste, wie wichtig es war, zu weinen, weil es die Seele reinigte.
Dennoch hütete er sich davor, zu früh mit dem Trösten zu beginnen, obwohl er gerade jetzt bei Sarah stark in Versuchung geriet, genau das zu tun.
Sarah saß am Ende der Welt in einer Konzerthalle und weinte auf eine stille, verzweifelte, Herz zerreißende Art und er durfte ihr nicht helfen, ihren Schmerz zu lindern. Das tat ihm vor allem jetzt weh, als der Chor jubelnd „…und der Cherub steht vor Gott“ sang – jene Zeile, der sich kaum ein Konzertbesucher entziehen konnte, ohne eine Gänsehaut zu bekommen.
„Möchtest du noch etwas essen? Oder trinken? Sollen wir uns irgendein nettes kleines Restaurant suchen?“
„Nein, nein, danke, Frederik, aber mir ist gar nicht danach. Können wir nicht einfach nach Hause fahren?“
Der Psychologe in Frederik registrierte sehr wohl, dass Sarah „nach Hause“ sagte. Ihr selbst war es nicht bewusst, aber er konnte es nicht ignorieren und erlaubte sich ein winziges Lächeln.
Sarah wollte nach Hause.
Sie ahnte es nicht, aber ihm verriet es, wie lange sie schon danach suchte. Viel, viel länger, als sie es selbst für möglich hielt und höchstwahrscheinlich vehement abstreiten würde, wenn er sie darauf aufmerksam machte.
Frederik stellte deshalb keine weiteren Fragen, sondern lenkte den Wagen durch die Straßen der Stadt, deren fantastische kubistische Silhouette mit ihren Millionen von Lichtern jetzt noch mehr faszinierte als am Tag.
Es war die Jahreszeit des Blühens und Grünens, ganze Alleen wurden von Bäumen mit malvenblauen Blüten durchzogen während Parks und Gärten in exotischen Farbflecken loderten.
Der Duft von Orangenblüten lag in der Luft, nachdem Sarah und Frederik in Claires Apartment zurück gekehrt waren, wo sie nun auf dem Balkon saßen, um sich bei einem Glas Rotwein von der Skyline von Auckland bei Nacht faszinieren zu lassen.
Am Horizont blitzten immer wieder in Abständen Leuchtzeichen auf, gerade so, als sende irgendeine Macht von einem anderen Stern Signale aus, die dringende, jedoch für die Menschen auf der Erde unverständliche Nachrichten ständig wiederholten.
Sarah hatte die ganze Zeit im Auto gezittert, sodass Frederik ihr irgendwann sanft seine linke Hand auf den Rücken gelegt und sie leicht gestreichelt hatte. Eine Geste wie für ein Kind, das man beruhigen wollte.
Inzwischen zitterte sie nicht mehr. Nach dem ersten Glas Rotwein war ihr nicht mehr kalt. Um sicher zu gehen, legte Frederik ihr im Vorbeigehen seinen Kaschmirpullover über die Schultern.
„Danke“, sagte Sarah leise und griff, ohne sich nach ihm umzudrehen, nach seiner Hand, um sie nach einem kurzen Moment sofort wieder
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