Liebling der Götter
sterben oder unwissend bleiben und leben. Es gibt keine dritte Entscheidungsmöglichkeit.«
»Wirklich nicht?«
»Nein.«
Jason grinste besorgniserregend und schlug mit dem noch immer im Leinensack befindlichen Schwert von Glykerion mit voller Wucht gegen das Fenster. Das Glas zerbrach. Im selben Augenblick verschwand der Zug, ebenso Vergil, das Licht, das Schwert und – beklagenswerterweise – auch die Sandwiches. Das einzige, was nicht verschwand, war Jason.
»Braver Hund«, log Pluto.
Zerberus, der dreiköpfige Höllenhund, hörte nicht auf sein Herrchen und knurrte erneut.
Der Schaffner wurde zwar kreidebleich, wich aber nicht von der Stelle und sagte: »Tut mir leid, mein Freund, aber wenn das kein Blindenhund ist, dürfen Sie ihn nicht mit in den Zug nehmen. Bestimmungen sind Bestimmungen.«
Pluto zuckte die Achseln. »Haben Sie Mark in Ihren Knochen?«
Der Schaffner blickte ihn verwirrt an. »Das möchte ich wohl annehmen. Warum fragen Sie?«
»In einem dieser Werbespots ist viel davon die Rede«, antwortete Pluto. »Anscheinend ist Knochenmark gut für Hunde. Wie steht’s bei Ihnen mit Kalzium? Hunde sollen unglaublich viel Kalzium benötigen.«
»Ich …«
»Ich weiß«, fuhr Pluto mit betrübter Miene fort. »Mir gefällt das ja auch nicht, dieses Drohen und Aufplustern und so weiter. Dieser verdammte Hund ist an allem schuld. Ich würde ihn ja zu Hause lassen. Aber kaum sieht er, daß ich ohne ihn auf die Straße will, nimmt er die Leine in die Schnauze, springt mich an und bellt. Dabei mag ich Hunde nicht einmal sonderlich gern, um die Wahrheit zu sagen.«
Der Schaffner schluckte schwer und gab sich alle Mühe, nicht in die sechs runden roten Augen zu schauen, die ihn wütend anstierten. »Sind Sie sich überhaupt sicher, daß das kein Blindenhund ist?« fragte er schließlich mit ängstlicher Stimme.
»Absolut sicher«, antwortete Pluto bestimmt.
»Also für mich sieht er wie ein Blindenhund aus.«
»Wirklich? Ach so, ich verstehe. Ja, natürlich ist das ein Blindenhund.«
»Na prima. Und jetzt gehen Sie bitte weiter.«
Pluto schüttelte betrübt den Kopf und ging zur Rolltreppe hinüber. Dort hing ein Hinweisschild, auf dem stand, daß man Hunde auf der Rolltreppe tragen solle. Offensichtlich war es dort von jemandem angebracht worden, der nicht sämtliche Möglichkeiten bedacht hatte.
»Als nächstes nimmst du die Opferschale in die rechte Hand …«
»So?« fragte Mary.
»Nein. Ich meine, ja«, korrigierte sich Betty-Lou Fisichelli. »Dann nimmst du den Schöpflöffel in die linke, tauchst ihn in den heiligen Gerstenbrei …«
»In welchen heiligen Gerstenbrei?«
»Verflixt, vergiß es einfach. Meistens nehme ich sowieso einfach irgendwelches Müsli. Das ist zwar nicht ganz korrekt, aber es kann nichts Schlimmeres passieren, als daß sich die Prophezeiung mit zehnminütiger Verspätung einstellt. Jetzt leg den Schöpflöffel auf die Opferschale, und zähl bis zehn.«
Mary schloß die Augen. »Eins, zwei, drei, vier …«
Plötzlich gab es ein fauchendes Geräusch, und eine eisig-blaue Flamme schoß aus dem heiligen Dreifuß. Sehr zur Verwunderung von Ms. Fisichelli, die sich gegen den Dreifuß gelehnt hatte. Dennoch wurde kein Schaden angerichtet, da die Flamme nicht zu wissen schien, daß Feuer zum Brennen da ist. Sie flackerte nur einige Male an Betty-Lous Ärmel auf und ab und stellte sich dann auf mittlere Gasherdflammengröße ein.
»Wie hast du das bloß geschafft?« wunderte sich die Pythia.
»Ich weiß es selbst nicht«, gestand Mary. »Es ist einfach passiert. Warum fragst du? Soll das nicht so sein?«
»Doch, doch. Nur ist das noch nie passiert, wenn ich es mal versucht habe«, gab Betty-Lou zu. »Am Ende muß ich immer auf Spiritus und Feuerzeug zurückgreifen.«
Mary lächelte leicht beschämt und murmelte etwas von Anfängerglück vor sich hin. Dann stellte sie wie befohlen die Opferschale auf die Flamme, streute noch etwas von dem heiligen Müsli hinein und schüttete einen Trunk aus dem kleinen versilberten Füllhorn hinterher. Die Flamme stieg wieder auf, wobei sie diesmal die Opferschale mit in die Luft hob.
»Wahnsinn!« staunte Ms. Fisichelli voller Bewunderung. »Hast du so was schon mal gemacht?«
Mary blickte verlegen beiseite. »Nein. Und was nun?«
»Genaugenommen müßten wir jetzt ein Kind, ein Lamm oder eine weiße Taube opfern. Da ich aber Rücksicht auf die Nachbarn nehmen muß, verzichte ich generell auf diesen Teil. Manchmal
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