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Linksträger: Roman (German Edition)

Linksträger: Roman (German Edition)

Titel: Linksträger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Boltz
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sondern eine Spezialität aus Apolda. Ein hausgemachtes Waffelbrot.«
    Stille breitet sich aus, und für beinahe fünf Sekunden traut sich niemand, etwas zu sagen. Ich schon gar nicht. Dann bricht lautes Gelächter los, in das ich nicht einstimme. Nur sehr langsam gehe ich auf Jana zu und schaue in die Plastikbox.
    »Ein Waffelbrot?«
    »Ja.«
    »Sie wollte mir also ihre Waffelbrote zeigen?«
    »Genau. Das ist bei uns in der Familie so Sitte.«
    »Dass man jemandem seine Brüste zeigt?«
    »Nein, dass man Gäste im Kreise der Familie mit einem hausgemachten Filinchen begrüßt. Es ist eine Geste der Gastfreundschaft.«
    Tante Gerti traut dem Braten immer noch nicht, wirft mir erneut einen ihrer lüsternen Blicke zu und verschwindet mit erhobener Nase und Tupperbox in Richtung Küche. Jana schiebt mich dagegen ins Esszimmer und weg von den grölenden Leuten.
    »Du Idiot, man kann dich nicht für fünf Minuten aus den Augen lassen.«
    »Tut mir leid. Aber glaube mir, die hat mich trotzdem angemacht. Wirklich, die hat mich richtig angestiert.«
    »Mensch, halt jetzt die Klappe. Da weiß man ja nicht, wer den größeren Schuss hat. Du oder Tante Gerti?«
    »Aber hast du nicht gesehen, wie sich mich noch beim Gehen mit ihrem notgeilen Blick fast ausgezogen hat?«
    »Das ist kein notgeiler Blick, Robert, das ist grauer Star, Tante Gerti sieht nicht mehr gut.«
    Heute scheint sich aber auch alles gegen mich verschworen zu haben.
    »Oh, grauer Star. Das wusste ich nicht.«
    Jana atmet tief durch und fährt sich mit den Fingern durchs Haar.
    »Vergessen wir es. Komm mit, ich stell dir jetzt den Rest der Familie vor.«
    »Okay, aber warn mich bitte vorher, falls noch andere Vögel in den Augen deiner Verwandtschaft nisten.«

24 Krieg der Sterne in Pfiffelbach
    N ach dem Filinchen-Fiasko hat sich die leicht aufgebrachte Stimmung im Haus wieder etwas beruhigt. Was vor allem daran liegt, dass ich mich seither so unauffällig wie möglich verhalte. Ich nicke nur noch höflich bei Fragen und feilsche ansonsten mit der Raufasertapete um den Titel des Königs der Unauffälligkeit . Die gesamte krummbucklige Verwandtschaft der Schwänze und Gurken hat sich mittlerweile um den Kaffeetisch versammelt und mich auf einem der unbequemen Sitze nahe der Wand zwischen Jana und irgendeiner Cousine dritten Grades eingekeilt. Ein Toilettengang scheint ebenso aussichtslos wie die Hoffnung, dass das alles nur ein böser Traum ist.
    Es gibt Kuchen, Torte und Kaffee, den man mit frischer Stutenmilch aus dem Kännchen mischen kann. Ich habe mich für ein Stück Schwarzwälder Kirsch entschieden. Ich greife zur Kuchengabel, lege sie aber wieder zurück, als ich merke, dass ich der Einzige bin, der essen möchte. Man scheint auf irgendein Signal zu warten. Selbst der Kaffee nebst Stutenglück bleibt unangetastet. Und dann klärt sich das Geheimnis, als ein steinalter Mann zur Tür hereinkommt. Die Falten des alten Herrn hängen wie eine Hautlappen-Hängematte von seinen Wangen herab. Trotz seines biblischen Alters scheint der Greis mit dem Fahrrad gekommen zu sein, denn er trägt einen schwarzen Fahrradhelm über seinem runzeligen Rosinengesicht. Dazu wirkt er etwas außer Atem. Das kurzatmige Röcheln gepaart mit dem schwarzen Helm erinnert mich an eine meiner Lieblingsfilmfiguren. Als er an den Tisch tritt und alles vor Ehrfurcht erstarrt, bin ich mir sicher, dass ich hier das Original vor mir stehen habe: Star-Wars-Bösewicht Darth Vader in einer ostdeutschen Wiedergeburt. Auch nachdem er sich den Stuhl zurechtgerückt und man ihm Kaffee eingeschenkt hat, behält Lord Helmchen seinen Kopfschutz unverändert auf. Ich beuge mich sicherheitshalber zu Jana hinüber. Vielleicht ist das ja auch wieder eine dieser thüringischen Begrüßungsrituale.
    »Jana, der Typ hat einen Helm auf.«
    »Ja, ich weiß. Das ist Opa Karlo. Ich habe dir doch erzählt, dass er Epileptiker ist.«
    »Und da hilft Radfahren?«
    »Nein.« Ich glaube, Jana ist etwas genervt von mir. »Der Helm dient als Schutz, falls er einen Anfall bekommt und stürzt. Damit er sich nicht den Kopf verletzt, verstehst du?«
    »Der hat den Helm den ganzen Tag auf?«
    Noch bevor mir Jana eine Antwort geben kann, wird eine Gabel gegen Glas geschlagen, und alle Anwesenden nehmen Haltung an. Der dunkle Fürst Darth Karlo hat sich wieder erhoben und blickt auf die wartenden Untertanen seines Imperiums. Von einer weit entfernten Galaxie her höre ich die Star-Wars-Melodie langsam näher kommen …

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