Lisa geht zum Teufel (German Edition)
krankenversichert war, hätte man ihn als Allergiker gerade mal untersucht und dann mit ein paar Medikamenten nach Hause geschickt. Als Obdachloser war er paradoxerweise Privatpatient, und da konnte man angesichts Delias Sprüchen von wegen, dass sie für ihn bürge, rein theoretisch ordentlich zulangen. Rafael war noch immer außer sich, dass ihn die Ärzte just aus diesem Grund über Nacht in der Klinik behalten hatten. »Zur Beobachtung«, wie es geheißen hatte. Er war zu schwach gewesen, um dagegen zu protestieren. Es sei unverantwortlich, ihn zu entlassen, weil der Verlauf einer schlimmen Allergie zu ungewiss sei. Wenn Delia nicht darauf bestanden hätte, dass er dem Rat des Arztes Folge leistete, würde er jetzt nicht schon seit einer Stunde in einem Rollstuhl im Ausgangsbereich herumsitzen und darauf warten, abgeholt zu werden. Am liebsten hätte er sich ein Taxi genommen, aber ohne Bargeld war das schlecht machbar, und Delia traf sich gerade mit Andreas in der Stadt, um sich das Geld für die Arztrechnung zu besorgen. Natürlich hätte Delia ihm die Summe für ein Taxi und die Rechnung des Krankenhauses auch vorschießen können, doch sie traute Andreas nicht. Am Ende würden sie auf der Arztrechnung sitzenbleiben. Privatpatient zu sein hatte aber auch den Vorteil, dass man von Sanitätern nach Hause gefahren wurde. Als ob all das angesichts Lisas Unfall wichtig wäre. Rafael machte sich klar, dass er sich mit diesen Gedanken nur von seiner Sorge um Lisa ablenkte. Der Schreck, dass sie vielleicht nicht mehr am Leben war, saß ihm in den Knochen. Delia hatte Gott sei Dank herausgefunden, dass sie noch unter ihnen weilte und es ihr den Umständen entsprechend gutging. Etwas Näheres war allerdings nicht zu erfahren. Die Schweigepflicht. Wenn er doch nur sicher wüsste, dass ihr nichts Schlimmeres zugestoßen war. Als ob jemand im Himmel seine Gedanken gelesen hätte, rollte Lisa ihm vom anderen Ende des Gangs entgegen.
Rollstuhl! Sturz! Gelähmt! Rafael sackte förmlich in sich zusammen, beruhigte sich aber sogleich damit, dass er ja selbst auch im Rollstuhl saß.
»Gott sei Dank. Sie scheinen wohlauf«, begrüßte er sie.
»Ah, Sie kennen sich«, sagte der Pfleger, der Lisas Rollstuhl schob, und stellte das Gefährt gleich neben seinem ab. »Der Sanitäter wird jeden Moment da sein.«
Nur ein Sanitätsfahrzeug? Richtig. Sie hatten mit Sicherheit die gleiche Adresse als Wohnsitz angegeben.
»Wie geht es Ihnen?«, fragte Lisa und klang dabei auch ziemlich besorgt.
»Bestens. Danke für die Grenzerfahrung. Ich wollte schon immer mal wissen, ob man tatsächlich Licht am Ende des Tunnels sieht, wenn man dabei ist zu krepieren.«
»War es so schlimm?«, fragte Lisa kleinlaut nach.
Rafael nickte ernst, was ihm sogleich leidtat.
»Und wie geht es Ihnen?«, fragte er nun mit viel mehr Wärme in der Stimme.
»Gehirnerschütterung. Ich brauche Ruhe.«
Rafael nickte.
»Wir sollten mit dem Unsinn aufhören«, schlug Lisa nach einer Schweigeminute vor und sah ihm dabei ernst in die Augen.
Wieder nickte Rafael.
»Ich weiß nicht, was gestern in mich gefahren ist. Das neue Namensschild und dann schon wieder dieser Gestank im Haus …«, sagte Lisa und schüttelte den Kopf.
»Kein Grund, mich zu vergiften. Woher wussten Sie eigentlich von meiner Zimtallergie?«
»Ist mir auf der Suche nach deutschem Eis mit ganzen Himbeerstücken zu Ohren gekommen«, erwiderte sie und schmunzelte.
Rafael verstand kein Wort von dem, was sie sagte. Sie redete wirr. Das mussten die Folgen der Gehirnerschütterung sein.
»Mercadona«, sagte sie.
Da fiel ihm die in die Gefriertruhe abgetauchte Deutsche im Supermarkt ein.
»Helga?«
Lisa nickte.
»Sie haben uns nachspioniert?« Das hätte er Lisa gar nicht zugetraut.
»Haben Sie etwa geglaubt, ich gebe mein Haus kampflos auf?«
Nun musste auch Rafael schmunzeln.
»Warum wollen Sie mich rausekeln? Felipe hat Sie doch bestimmt dafür bezahlt«, fragte Lisa und wirkte dabei nun wieder todernst.
Rafael hatte früher oder später mit dieser Frage gerechnet. Delia hatte ihn gebrieft: Kein Wort über Andreas und nur nicht von ihrer Version der Geschichte abweichen.
Die zwei Sanitäter schickte der Himmel. Eine kurze Verschnaufpause würde ihm Zeit geben, sich eine passende Antwort zu überlegen.
»So, wir bringen Sie jetzt nach Hause«, sagte einer der beiden und reichte Lisa die Hand.
Rafael atmete auf. So etwas nannte man Galgenfrist.
Lisa hätte sich nicht träumen lassen,
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