Lord Peter 03 - Keines natürlichen Todes
Spitzfindigkeiten
Tat ohne Vorbild aber ist zu fürchten In ihrem Ausgang.
KÖNIG HEINRICH VIII.
»Murbles kommt heute abend zum Essen, Charles«, sagte Wimsey. »Ich fände es gut, wenn du auch kommen und deinen Hunger mit uns stillen könntest. Ich möchte ihm nämlich diese ganze Familiengeschichte unterbreiten.«
»Wo eßt ihr denn?«
»Ach, nur bei mir. Ich habe die Restaurants über. Bunter versteht ein schönes englisches Steak zu machen, und dazu gibt’s junge Erbsen, Kartoffeln und echt englischen Spargel. Gerald hat ihn mir extra aus Denver geschickt. Zu kaufen kriegt man ihn nicht. Komm doch. Nach altenglischer Sitte, verstehst du, und dazu eine Flasche ›Ho Byron‹, wie Pepys dazu sagen würde. Wird dir bestimmt gut tun.«
Parker nahm die Einladung an. Ihm fiel aber auf, daß Wimsey selbst bei seinem Lieblingsthema, dem Essen, irgendwie geistesabwesend war. Etwas schien ihn sehr zu beschäftigen, und selbst als Murbles kam und seinen verhaltenen Juristenhumor spielen ließ, hörte Wimsey ihm zwar überaus höflich, aber doch nur mit halber Aufmerksamkeit zu.
Sie waren mit dem Essen halb fertig, als Wimsey aus heiterem Himmel plötzlich die Faust auf den Mahagonitisch krachen ließ, daß sogar Bunter erschrak und beim Zusammenzucken von dem guten Haut Brion verschüttete und einen knallroten Fleck aufs Tischtuch machte.
»Ich hab’s«, sagte Lord Peter.
Bunter bat Seine Lordschaft mit schreckgedämpfter Stimme um Verzeihung.
»Murbles«, sagte Wimsey, ohne Bunter zu beachten, »gibt es nicht ein neues Erbrecht?«
»Doch, ja«, sagte Murbles ziemlich überrascht. Er war mitten in einer Anekdote von einem jungen Anwalt und einem jüdischen Pfandleiher unterbrochen worden und fühlte sich ein wenig pikiert.
»Wußte ich doch, daß ich diesen Satz schon irgendwo gelesen hatte – du weißt ja, Charles –, daß es mit dem lange verschollen gewesenen Erben aus Übersee ein Ende haben solle. Das hat vor ein paar Jahren mal in irgendeiner Zeitung gestanden, und zwar handelte es sich dabei um das neue Erbrecht. Natürlich hat es darin auch geheißen, was für ein Schlag das für romantische Romanschreiber sei. Werden durch das Gesetz nicht die Erbansprüche entfernter Verwandter ausgeschaltet, Murbles?«
»In gewissem Sinne ja«, antwortete der Jurist. »Natürlich nicht im Falle unveräußerlichen Grundbesitzes – dafür gelten eigene Regeln. Aber ich nehme an, Sie sprechen von normalem persönlichem Besitz oder veräußerlichem Grundbesitz.«
»Genau – was geschieht jetzt damit, wenn der Eigentümer stirbt, ohne ein Testament gemacht zu haben?«
»Das ist eine ziemlich komplizierte Angelegenheit«, begann Murbles.
»Nun, passen Sie mal auf. Zuerst – bevor dieses komische Gesetz verabschiedet wurde, bekam doch der nächste lebende Verwandte alles – ganz gleich, ob er nur ein Vetter siebten Grades in fünfzehnter Linie war, stimmt’s?«
»Im allgemeinen ist das richtig. Wenn noch ein Ehegatte da war –«
»Lassen wir die Ehegatten mal beiseite. Nehmen wir an, die Person war unverheiratet und hatte keine lebenden nahen Verwandten. Dann ginge das Erbe –«
»An den nächsten Verwandten, wer das auch immer war, sofern er oder sie ermittelt werden konnte.«
»Selbst wenn man bis zu Wilhelm dem Eroberer zurück graben mußte, um die Verwandtschaft nachzuweisen?«
»Immer vorausgesetzt, man konnte die Ahnenreihe so weit in die Vergangenheit zurückverfolgen«, antwortete Murbles.
»Es ist natürlich in höchstem Maße unwahrscheinlich –«
»Ja, ja, ich weiß. Aber was geschieht denn jetzt in so einem Fall?«
»Das neue Recht vereinfacht die Erbregelung bei Fehlen eines Testaments sehr«, sagte Murbles, indem er Messer und Gabel zusammenlegte, beide Ellbogen auf den Tisch pflanzte und den rechten Zeigefinger aufzählend auf den linken Daumen legte.
»Darauf gehe ich jede Wette ein«, unterbrach ihn Wimsey.
»Ich kenne diese Gesetze, mit denen etwas vereinfacht werden soll. Die Leute, die sie verfaßt haben, verstehen sie selbst nicht, und die Bedeutung jedes Paragraphen muß erst in einem langen Prozeß geklärt werden. Aber fahren Sie nur fort.«
»Nach dem neuen Recht«, nahm Mr. Murbles den Faden wieder auf, »geht die Hälfte des Besitzes zum Nießbrauch an Ehemann oder Ehefrau, sofern noch am Leben, ansonsten zu gleichen Teilen an die Kinder. Sind aber weder Ehegatte noch Kinder da, so erben Vater oder Mutter des Verstorbenen. Wenn beide Eltern tot sind, geht alles an die
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