Loretta Chase
raunte sie.
»Und
kompliziert«, kam es von Nichols.
»Teuflisch«,
pflichtete sie ihm bei. »Großonkel Hubert DeLucey, der noch jedes Schloss
geknackt hat, meinte mal, er habe Tage mit einer solchen Kiste
zugebracht. Und das, obwohl er die Schlüssel hatte.«
»Allerdings,
Miss«, sagte Nichols, ohne sich von der Arbeit abhalten zu lassen. »Man sollte
sich hüten, den Schließmechanismus aus Versehen zu beschädigen.« Es juckte ihr
in den Fingern. Sie trat zurück und verschränkte die Hände auf dem Rücken.
Während Nichols weiter mit großer Sorgfalt und unendlicher Geduld die dicke
Kruste abtrug, schlich Olivia gemessenen Schrittes um die Kiste herum und nahm
sie von allen Seiten in Augenschein.
Sie war
etwa zwei Fuß lang, einen Fuß breit und einen tief und rundum mit schweren
Eisenbeschlägen versehen.
Als Nichols
endlich fertig war, ging bereits die Sonne unter.
Nachdem er
den Boden aufgefegt hatte, kniete Olivia vor der Kiste nieder, und Lisle hockte
sich neben sie. »Schau«, sagte sie. »Falsche Schlüssellöcher, bloße Attrappen.
Dahinter verborgene Schließmechanismen. Man muss sich von außen nach innen
vorarbeiten. Ich würde hier beginnen.« Sie zeigte auf eines der äußeren
Schlösser. »Das dürfte noch der leichtere Teil sein«, vermutete er.
»Ich will
es hoffen«, sagte sie. »Ich habe so eine Kiste erst einmal gesehen und hatte
leider nie Gelegenheit, selbst daran zu arbeiten. Die Schlösser müssen in einer
ganz bestimmten Reihenfolge geöffnet und winzige Schrauben in die richtige
Richtung gedreht werden. Selbst wenn man die Schlüssel hat, ist es eine
ziemliche Herausforderung, aber wir haben ja keine Schlüssel.«
Lisle sah
zu seinem Kammerdiener auf. »Wir dürften Kerzen brauchen«, sagte er.
»Und ein
Feuer im Kamin. Wahrscheinlich werden wir hier eine Weile zubringen.«
Vier Stunden später saß Olivia noch
immer vor der Kiste, das Kinn auf die Hände gestützt und die Stirn in tiefe
Falten gelegt.
Es lief
längst nicht so gut wie erhofft.
Nachdem sie
und Lisle vorsichtig den Rost entfernt und die Schlösser geölt hatten, hatte
sie sich an die Arbeit gemacht.
»Es ist
Ewigkeiten her, dass ich ein anständiges Schloss geknackt habe«, ließ sie Lisle
wissen.
Als eine
Stunde vergangen war, hatte er Nichols einen Tisch und einen Stuhl nach unten
bringen lassen. Zusammen mit Nichols hatte er die Kiste auf den Tisch gehievt.
Nach der zweiten Stunde hatte Bailey ihnen Tee gebracht und einen warmen Umhang
für ihre Herrin.
Während der
dritten Stunde hatte Lisle gemeint: »Wir sollten langsam nach oben gehen und
uns zum Abendessen umziehen.«
»Geh nur«,
hatte Olivia erwidert. »Ich bleibe hier, bis ich das verdammte Ding geknackt
habe.«
Er war nach
oben gegangen und hatte den Harpyien ausrichten lassen, sie sollten ruhig ohne
sie anfangen. Dann war er mit einem Teller Sandwiches und einer Flasche Wein in
den Wachraum zurückgekehrt.
Olivia
probierte jeden Dietrich aus, den ihr Fundus an einbruchstauglichen Utensilien
hergab – und das waren Dutzende. Lisle war schockiert, wenngleich nur wenig.
Dann versuchte sie es mit Haarnadeln, mit Hut- und Kleidernadeln, mit
Zahnstochern, Nähnadeln und mit Draht.
Nun,
nachdem sie sich vier Stunden vergeblich gemüht hatte, sagte Lisle:
»Manchmal
muss man etwas eine Weile ruhen lassen, ehe man sich wieder daransetzt.«
»Mir ist
noch kein Schloss untergekommen, das ich nicht aufbekommen hätte«, erwiderte
sie.
»Dir ist
eben noch nie ein solches untergekommen«, meinte er. »Du hast selbst gesagt, es
wäre nicht einfach nur ein Schloss oder eine Reihe von Schlössern. Es ist ein
Puzzle. Weißt du noch, wie viele Jahre Tante Daphne dafür gebraucht hat, die
Hieroglyphen für 'Ramses' zu entziffern?«
»Aber das
hier ist keine ausgestorbene Sprache! Es sind einfach nur Schlösser, Metallstücke .
Schlösser sind einige der wenigen Sachen, mit denen ich mich wirklich
auskenne!« Sie neigte den Kopf zur Seite und spähte finsteren Blickes in das
Schlüsselloch.
»Unsinn«,
sagte er. »Du beherrschst viele Sachen. Das Problem ist, dass dein Verstand
nicht für Puzzles dieser Art geschaffen ist. Dazu bedarf es eines ausdauernden,
methodischen Verstandes. Deiner ist zu ...«, er fuchtelte mit den Händen durch
die Luft, »... reizbar. Zu emotional.«
Ihr Kopf
schoss in die Höhe, und der Blick ihrer blauen Augen hätte Stahl schmelzen
können.
»Willst du
damit sagen, dass du das Puzzle lösen könnest?«, fragte sie.
»Es
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