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Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße

Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße

Titel: Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gwen Bristow
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Dockarbeiter, der zu Geld gelangte. Der alte Larne hatte der großen Tradition, die sich in diesem Hause für die Familie verkörperte, noch besondere Gestalt verleihen wollen. Die Vorfahren waren nach Louisiana gezogen, als sich weit und breit noch Sumpf und Urwald dehnten; sie hatten sich Ardeith aus der Wildnis herausgeschlagen. Nun löste ein Larne den anderen ab; sie wuchsen und heirateten, zeugten Kinder und starben; sie träumten ihre Träume und trugen ihre Enttäuschungen; nie sollte sie der Mut verlassen, fortzufahren.
    »Denn natürlich«, hatte David Larne seiner Frau gesagt, »das Leben läuft immer im Kreise.«
    Sie hatte eingewandt: »Wollen wir nicht lieber sagen, es bewege sich in Spiralen? Was meinst du dazu?«
    So hatten sie die Treppe bauen lassen. Der Architekt saß monatelang über den Berechnungen – und als die Treppe errichtet war, vernichtete er die Pläne. Sie trug sich frei, die wunderbare Wendeltreppe, wand sich ohne Stütze einmal in der Luft um sich selbst, ehe sie das obere Stockwerk erklomm, ein Wunder der Baukunst wahrhaft. Sechs Fuß maßen ihre Stufen in der Breite. Das Geländer hatte ein Künstler seines Fachs geschnitzt; die Schnörkel, Girlanden und Blumen waren tief herausgearbeitet; jeden Morgen mußten zwei Sklaven eine Stunde lang Staub wischen. Am Fuß der Treppe, wo die Stufen sich erweiterten, kurvte das Geländer aus und schlang sich um eine weiße Säule, als wäre es lebendig. Wenn die Frauen der Larnes in ihren raschelnden Röcken und Schleppen die Treppe herniederrauschten, wenn die Männer der Larnes, schmalhüftig, elegant, unverwechselbar, sie erstiegen, dann wurde deutlich, daß hier Edleres geschaffen war als nur ein zweckbestimmtes Werk, einem alten Geschlecht schicklich zu dienen. Die Treppe war das Sinnbild einer Tradition, die Generationen überdauert hatte und weitere überdauern sollte.
    Ann stand am Fuß der Treppe und blickte sich um. An den beiden langen Wänden hingen die Bildnisse der Vorfahren Denis', Menschen von strahlender Natürlichkeit, die sich hier in festlichem Glanz für die Nachwelt hatten verewigen lassen. Die Namen der meisten kannte sie nicht. Aber sie wußte, daß einer von ihnen mit ihr verwandt war. Sie und Denis besaßen gemeinsame Ahnen. Anns Augen glitten mit keineswegs freundlichen Blicken über die gemalten Gesichter: ob jene Männer und Frauen die Bürde vorausgeahnt hatten, die sie ihren Nachfahren hinterließen, als sie starben? Denis allerdings schien niemals als Last zu empfinden, was ihm vererbt war. Er nahm die Vergangenheit der Familie hin, wie er das Land hinnahm, worin er geboren war; beides hatte ihn zu dem gemacht, der er war; beides war immer gegenwärtig; man brauchte es also nicht zu erörtern. Denis schätzte es wenig, das Dasein zu zerdenken.
    Das alles braucht mich nicht zu erregen, dachte sie bei sich in der Stille der großen Halle. Anns und Denis' Familien waren gleich alt; Anns Blut war ebenso blau wie das seine. Der einzige Unterschied zwischen ihnen bestand darin, daß die Sheramys sich lieber als Einzelpersönlichkeiten denn als Glieder eines Geschlechts gewürdigt sehen wollten; sie zogen es vor, nur das zu tun, was ihnen behagte. Ann hatte es stets sehr erheiternd gefunden, daß ihr Vater ein leichtsinniges junges Ding mit hochfliegenden Plänen, ihre Mutter nämlich, geheiratet hatte, die mit ihren eigenwilligen Streichen das ganze Land am Strom in Atem hielt. Noch heute hatten die Leute nicht aufgehört, sich über den alten Sheramy und seine verrückte Heirat zu wundern. Doch hatte Ann bisher nicht im geringsten zu zweifeln brauchen, daß ihr Vater mit ihrer Mutter in glücklichster Ehe gelebt hatte.
    Denis trat in die Halle. Bin ich nicht ein Dummkopf, fragte sich Ann, wenn ich zögere, einen Mann zu heiraten, um den mich alle Welt am Strom beneiden wird? Als Denis sie am Fuß der Treppe erreichte, zog er sie in plötzlicher Leidenschaft in seine Arme.
    Ann entzog sich ihm ein wenig nach den ersten Augenblicken. Sie blickte zu ihm auf; sie empfand seine körperliche Nähe erregend angenehm. Denis sagte kein Wort. Er hielt sie in seinem linken Arm; seine Rechte ruhte auf ihrer Schulter; er lächelte sie so zwingend an, daß Ann spürte, wie sie nachgab – als wäre seine Inbrunst ein Befehl, und ihr mangelte es an Kraft, sich aufzulehnen. Als Denis sie abermals an sich zog, warf sie ihm die Arme um den Nacken und hielt ihre Lippen den seinen entgegen. Er flüsterte, wie sehr er sie liebe. Ihr

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