Louisiana-Trilogie 3 - Am Ufer des Ruhmes
Sehfähigkeit bereits sehr viel an sich gearbeitet. Die große Schwierigkeit, der sie sich jetzt gegenübersah, war, daß sie begreifen sollte, sie sei anders als andere Menschen. Sie hatte das sicherlich weitgehend schon begriffen, denn wie Kester und Eleanor sie so vor sich sahen, da schien ihnen, als habe das Mädchen, obwohl es doch noch nicht sieben Jahre alt war, den entscheidenden Schritt zwischen Kindheit und Jugend bereits vollzogen. Cornelia begann nach einem Weilchen zu schlucken, zog tief den Atem ein und sah die Eltern aus verschleierten Augen an.
»Ich – dachte – –«, begann sie; ihre Stimme brach um, ihre Lippen bewegten sich zitternd; mit einer rührend hilflosen Gebärde wandte sie sich Kester zu. Der hob sie auf seinen Schoß. Sie schlang ihre Ärmchen um seinen Hals und barg ihr Gesicht an seiner Brust. Kester hielt sie zärtlich umfaßt und sprach leise und behutsam auf sie ein, bis sie ruhig wurde und schließlich den Kopf hob. Eleanor reichte ihr ein Taschentuch. Nachdem sie ihr Gesicht trocken getupft hatte, saß Cornelia zusammengekuschelt auf Kesters Knien und beschäftigte sich hingegeben damit, die Ecken des Taschentuches umzubiegen. Endlich sah sie auf.
»Ich kann ganz gut sehen«, sagte sie nicht ohne Trotz in der Stimme.
Eleanor saßen Jammer und Schmerz so tief in der Kehle, daß sie nicht zu sprechen vermochte. Kester dagegen sagte mit seiner ruhigen Überlegenheit:
»Selbstverständlich kannst du sehen. Und mit der Zeit wirst du schwimmen und tauchen lernen und selbstverständlich auch tanzen, und keinem Menschen wird auffallen, daß deine Augen nicht ganz so gut wie die anderer Leute sind.«
»Das alles kann ich lernen?« fragte Cornelia ein wenig ängstlich.
»Aber gewiß kannst du das.«
»Wie andere Mädchen?«
»Ganz wie andere Mädchen.«
Cornelia dachte einen Augenblick nach, dann kletterte sie von Kesters Schoß herunter. »Kann ich bald zu der neuen Schule gehen?« fragte sie. »Ist da im Sommer auch Schule?«
»Nächsten Monat kannst du gehen.«
Cornelia hob eine Hand, um eine Locke ihres Haares zurückzustreichen. »Ich kann ganz gut sehen«, wiederholte sie, »ich kann alles sehen. Ich kann die Tür sehen.«
Als ob sie sogleich den Beweis für diese Behauptung antreten wollte, ging sie zur Tür und legte ihre Hand auf die Klinke. Eleanor stand auf. »Wohin willst du?« fragte sie. Es wurde ihr sehr schwer, gleichmütig zu sprechen.
»Nirgends hin. Nur hinauf. Ich will Philip erzählen, in was für eine schöne Schule ich komme.« Sie blickte über die Schulter zurück. »Ich kann ganz gut sehen!« sagte sie noch einmal und knallte die Tür hinter sich zu.
Eleanor saß jetzt auf Kesters Knie, wo eben Cornelia noch gesessen hatte, und lehnte ihr Gesicht gegen seine Brust, wie Cornelia es vorher getan hatte, und er hielt sie ebenso zärtlich, wie er vorher Cornelia gehalten hatte. Sie weinte nicht, aber sie klammerte sich an ihn, als suche sie Trost. Als sie nach einem Weilchen den Kopf hob, sagte Kester:
»Cornelia ist dir sehr ähnlich.«
»Ja«, sagte Eleanor, »sie nimmt es mit dem Leben auf. Sie bietet ihm auch Trotz. Ich beobachte das schon eine Weile. Aber sie ist auch dir ähnlich. Sie ist tapfer. Jetzt geht sie zu Philip und prahlt ihm von den Vorzügen ihrer neuen Schule vor. Zur Abendbrotzeit wird es dann so weit sein, daß er auch in die neue Schule will.«
»Sprich mit ihr nie mehr von ihren Augen«, sagte Kester, »wenn es irgend zu vermeiden ist. Sie will selbst nicht davon sprechen, und ich bin froh darüber. Ich bin sicher, sie wird deswegen nicht mehr weinen.«
Eleanor nickte. »Ich glaube, das Leben hat ihr einige Chancen gelassen, trotzdem glücklich zu werden«, sagte sie, »sie ist schön, sie ist klug, und sie ist tapfer.«
»Ihre Augen sind schwach«, sagte Kester, »aber die Larnes waren nie sonderlich intellektuell. Auch Cornelia wird es wahrscheinlich auf die Dauer nicht so sehr ums Studieren zu tun sein. Zum Tanzen wird sie keine Brille brauchen. Eleanor, stell dir vor: Unser eben noch so unglückliches Mädchen zehn Jahre später auf einem Mardi-Gras-Ball in New Orleans!«
Sie lachte bei dem freundlichen Fernbild, das er da beschwor, wurde aber gleich wieder ernst. »Ich möchte, daß sie mehr wird als nur schön, Kester«, sagte sie. »Ich möchte, daß sie klug wird. Ich möchte, daß sie großmütig wird. Meinst du nicht, wir könnten sie dazu erziehen?«
Kester lächelte: »Jedenfalls verfügen wir beide heute
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