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Love

Love

Titel: Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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überflutete Liseys Mund, als der zweite Schluck aus dem Pool wieder hochkam. Sie benutzte ihre Zunge, um Amandas Lippen zu öffnen, und als der zweite Schluck Wasser aus dem Pool von ihrem Mund in den ihrer Schwester zu fließen begann, sah Lisey den Pool in perfek ter tagesheller Klarheit, die ihre bisherigen Konzentrationsund Visualisierungsversuche beschämte, so ungestüm und leidenschaftlich sie auch gewesen waren. Sie konnte Jasmin und Bougainvillea riechen, deren Düfte von einem starken und irgendwie kummervollen Olivengeruch überlagert wurden, den sie als den Tagesduft der Sweetheart-Bäume erkannte. Sie konnte den festen, heißen Sand unter ihren Füßen spüren – unter ihren bloßen Füßen, weil ihre Turn schuhe nicht mitgekommen waren. Ihre Turnschuhe nicht, aber sie selbst sehr wohl, sie hatte es geschafft, sie war drüben, sie war
    Sie war wieder in Boo'ya-Mond und stand auf dem heißen, festen Sandstrand, diesmal unter einer hellen Sonne, die auf sie herabbrannte und auf dem Wasser nicht nur Tau sende von Lichtreflexen erzeugte, sondern anscheinend Mil lionen. Weil dieses Gewässer größer war. Lisey starrte es einen Augenblick lang ebenso fasziniert an wie das große alte Se gelschiff, das dort vor Anker lag. Und während sie es betrach tete, verstand sie plötzlich etwas, was der Wiedergänger in Amandas Bett gesagt hatte.
    Woraus besteht meine Belohnung?, hatte Lisey gefragt, und das Wesen – das irgendwie Scott und Amanda miteinander vereint hatte –, hatte prompt geantwortet: Aus einem Ge tränk . Aber als Lisey nachgefragt hatte, ob damit eine Coke oder eine RC gemeint sei, hatte es gesagt: Sei leise. Wir wollen die Stockrosen betrachten. Lisey hatte angenommen, dass das Wesen von Blumen sprach. Sie hatte vergessen, dass dieses Wort früher einmal eine ganz andere Bedeutung gehabt hatte. Eine magische Bedeutung.
    Das Schiff dort draußen, das sich in all dem blau glitzern den Wasser vor Anker wiegte, war das, was Amanda gemeint hatte … das musste Amanda gewesen sein; Scott hatte sicher nichts von diesem herrlichen Traumschiff aus ihrer Kindheit gewusst.
    Dies war kein Pool, den Lisey sah; dies war ein Hafen, in dem nur ein Schiff vor Anker lag: ein Schiff für kühne Piratenmädchen, die den Mut hatten, auf der Suche nach Schät zen (und Jungs) auszulaufen. Und ihr Kapitän? Nun, gewiss niemand anders als die tapfere Amanda Debusher, denn war dieses Segelschiff nicht früher Mandas glücklichste Kindheitsfantasie gewesen? Früher, bevor sie äußerlich so zornig und innerlich so ängstlich geworden war?
    Sei leise. Wir wollen die Stockrosen betrachten.
    O Amanda, dachte Lisey – fast wehklagend. Dies war der Pool, zu dem alle hinabgingen, um zu trinken, der Urquell aller Vorstellungskraft, und deshalb sah ihn jeder ein wenig anders. Dieser Zufluchtsort aus ihrer Kindheit war Amandas Version. Die Steinbänke waren jedoch unverändert, was Lisey vermuten ließ, dass zumindest sie eine felsenfeste Realität darstellten. Diesmal sah sie zwanzig bis dreißig Leute, die auf den Bänken saßen und verträumt übers Wasser hinausblick ten, sowie ungefähr dieselbe Anzahl verhüllter Gestalten. Bei Tageslicht ähnelten sie auf schockierende Weise von Riesen-spinnen eingesponnenen Insekten.
    Sie erspähte rasch Amanda, die in der zehnten oder zwölften Reihe über ihr saß. Um sie zu erreichen, umging Lisey zwei der stumm über den Pool Hinausblickenden und eines der grausigen verhüllten Wesen. Sie setzte sich neben sie und ergriff wieder Mandas Hände, die hier drüben jedoch keine Schnittwunden oder Narben aufwiesen. Und während Lisey sie hielt, schlossen Amandas Finger sich sehr langsam, aber nachdrücklich um ihre. Das weckte bei Lisey eine seltsame Gewissheit. Amanda brauchte keinen zweiten Schluck aus dem Pool, und Lisey musste sie auch nicht mit sich ins Wasser locken, damit sie untertauchte und geheilt wurde. Amanda wollte in der Tat heimkehren. Ein wesentlicher Teil ihres Ichs hatte darauf gewartet, wach geküsst zu werden wie die schlafende Prinzessin im Märchen … oder befreit wie ein eingekerkertes tapferes Piratenmädchen. Und wie viele dieser nicht Verhüllten mochten sich in gleicher Lage befinden? Lisey sah ihre äußerlich ruhigen Gesichter und die abwesenden Blicke, was jedoch keineswegs bedeutete, dass nicht manche von ihnen innerlich kreischend nach jemandem riefen, damit er ihnen half, nach Hause zurückzufinden.
    Lisey, die lediglich ihrer Schwester helfen konnte –

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