Luc - Fesseln der Vergangenheit
verrückt klingt: Ich glaube ihm und in gewisser Weise auch an ihn.« Sie schwieg lange und sah dann Kalil direkt an. »Du hast vorhin gefragt, was ich erwarte: Nach Jahren fühle ich mich wieder lebendig. Selbst wenn das Gefühl nur einige Stunden anhält und ich weiß, dass es bald vorbei sein wird, ist es mir das wert. Er ist eine nette Abwechslung. Das ist alles.«
Kalils Miene war unergründlich. »Die Wege Allahs sind manchmal komplizierter als das Labyrinth des Minotaurus. Ich hoffe, du weißt, was du tust. Und dass eins klar ist: Wenn er dich verletzt, egal in welcher Form, ist er tot.«
»Griechische Mythologie bei einem gefürchteten Kämpfer der Taliban … Kalil, du solltest auf dein Image achten.«
Endlich ließ er sich auf ihren lockeren Ton ein. »Du hörst dich an wie meine Mutter. Die will auch nicht begreifen, dass sich ein Großteil unseres Kampfes im Internet abspielt.«
»Vielleicht würde sie es glauben, wenn sie dich nicht dauernd dabei ertappt, dass du dir auf einschlägigen Seiten nackte Frauen ansiehst.«
»Das wiederum, kleine Schwester, ist ganz alleine meine Sache und nun zurück zu dir. Tu dir und uns einen Gefallen und halte dich von Luc fern. Wenn ich mich zwischen unserem Dorf und Luc entscheiden muss, dann brauche ich keine Sekunde, um eine Wahl zu treffen. Wie sieht es mit dir aus?«
Sie ballte die Hände zu Fäusten. Er kannte sie zu gut und hatte die Sache auf den Punkt gebracht. »Darum geht es nicht, Kalil. Es sind schon zu viele Menschen sinnlos gestorben. Ich ertrage den Gedanken nicht, dass es zum offenen Kampf gegen Warzai kommt und dass Menschen, die mir nahestehen, verletzt oder getötet werden, aber ich kann auch nicht einfach zusehen, wie Luc oder ein anderer Mensch getötet wird.«
Kalil nickte und wollte etwas sagen. Entschieden hob sie eine Hand. »Ich bin noch nicht fertig! Wenn du mir unterstellst, dass ich mein Versprechen gegenüber Hamid breche, tust du mir unrecht. Luc will meine Hilfe gar nicht und irgendwie glaube ich ihm sogar, wenn er behauptet, alleine klarzukommen. Weißt du was? Macht den Mist doch unter euch aus. Ich halte mich da raus. Für mich sieht es aus, als ob es nur Verlierer geben wird, egal wie die Sache ausgeht.«
»Damit liegst du richtig und genau das solltest du tun. Hoffentlich hältst du dich dran.«
Sie wandte sich ab und stürmte davon. Ihre eigenen Befürchtungen von Kalil bestätigt zu bekommen war beinahe unerträglich.
7
Dicht an die Wand gepresst lauschte Luc den sich entfernenden Schritten und atmete auf. Als heimlicher Lauscher ertappt zu werden, hätte ihm nicht gefallen. Anscheinend hatte er mit seiner Einschätzung der Kazim-Brüder danebengelegen. Er hätte seinen Porsche gegen einen verrosteten Kombi gewettet, dass Kalil ihn sich wegen des Geplänkels mit Jasmin persönlich vornehmen würde. Einer körperlichen Auseinandersetzung wäre er kaum gewachsen gewesen und jede weitere Verletzung konnte das Ende seiner Fluchtgedanken bedeuten.
Jasmins Worte hallten in ihm wider. Zunehmend erstaunt stellte er fest, dass er sein Versprechen absolut ernst gemeint hatte. Was auch immer das für seine Zukunft bedeutete oder was seine Vorgesetzten dazu sagen würden, er hatte nicht vor, sie auszunutzen, sondern würde sein Wort halten. Egal, zu welchem Preis. Anscheinend hatten die Erziehungsprinzipien seiner Mutter und die Ehrbegriffe seiner afghanischen Familie tiefere Spuren hinterlassen, als ihm bisher bewusst gewesen war.
Unabhängig davon wurde es Zeit, sich umzusehen. Er musste herausbekommen, wo er sich ungefähr befand und wie er zurück zu den internationalen Truppen kam. Ein wochenlanger Trip durchs Gebirge war ohne entsprechende Ausrüstung nicht machbar. Und dann blieb noch die Frage, wie er aus dem Dorf rauskommen sollte, wenn die Frist ihrer Vereinbarung ablief. Hamid würde ihn kaum einfach gehen lassen.
Eine oberflächliche Untersuchung des Hauses erbrachte nichts Brauchbares. Wenigstens fand er hinter einem schweren Vorhang eine weitere Mauernische, die mit einem entsprechenden Loch und dem Geruch nach Chemikalien die afghanische Form einer Toilette in den abgelegenen Bergregionen darstellte, in denen Kanalisation noch ein Fremdwort war. Dank der Sanitätsausbildung der Navy wusste er, dass das Wiedereinsetzen der normalen Körperfunktionen darauf hindeutete, dass er die Folgen der Dehydrierung und des Nahrungsmangels endgültig überwand. Mit ausreichend Wasser, Nahrung und Ruhe würde er in weniger als
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