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Lucas

Lucas

Titel: Lucas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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verlassen.«
    Ich erhob mich aus dem Sessel und setzte mich zu Lucas auf den Boden. Als ich mich neben ihn schob, rückte er ein Stück zur Seite, um mir Platz zu machen.
    »Und dann?«
    »Tja, dein Vater meint, dann werden sie sich allesamt auf die Schenkel hauen, umkehren und wieder zurück zum Damm jagen.«
    »Und was meinst du?«
    Er zögerte einen Moment und nahm seinen Kopf zur Seite,um mich durch die Lücke sehen zu lassen. Jetzt war ich direkt neben ihm. Ich konnte ihn riechen, seine Haut, seinen Atem. Ich spürte die Feuchte seiner Kleidung. Wir lagen Seite an Seite und schauten auf den Hof unter uns. Der Hof wirkte merkwürdig von hier oben. Eng und unvertraut. Zu farblos. Zu eben. Farbe und Ausdehnung entstellt durch die Höhe.
    »Und was meinst du?«, wiederholte ich.
    »Ich weiß nicht, was passieren wird.«
    »Doch, du weißt es.«
    Er wandte den Kopf und sah mich an. Ich war ihm schon einmal nah gewesen, aber nicht so wie jetzt. Ich konnte jede Linie und jede Pore in seinem Gesicht sehen, jede kleine Narbe. Und ich konnte tief in seine Augen blicken . . .
    »Wir werden es bald herausfinden«, sagte er ruhig. »Es geht los.«
    Ich sah nach draußen.
    Ein Autokonvoi kam die Zufahrt herunter.

Zweiundzwanzig
    N ebeneinander auf dem Boden liegend beobachteten wir die Schlange der Personen- und Lieferwagen, die die Zufahrt zu unserem Hof herunterrumpelten. Das Brummen der langsam fahrenden Autos ließ die Luft zittern und die Dachbalken beben. Staub regnete auf uns herab. In der Ferne grollten Donner, Blitze zuckten und die vom Regen dunkle Fahrspur funkelte im Licht der Scheinwerfer. Es müssen ungefähr ein Dutzend Fahrzeuge gewesen sein. Jamie Taits Jeep führte sie an, dahinter folgte der weiße Lieferwagen und dann ein Sammelsurium an PKWs, Pick-ups, Motorrädern . . .
    »Ist ja unglaublich«, flüsterte ich.
    »Glaub es«, sagte Lucas.
    Der schwarze Jeep näherte sich der Stelle, wo der Fiesta die Zufahrt blockierte. Er bremste ab, fuhr auf die Seite und blieb stehen. Jamie erhob sich aus dem Fahrersitz und gab dem weißen Lieferwagen hinter ihm Zeichen. Er sah aus wie ein kleiner Diktator, der eine Guerillabande anführt. Der Lieferwagen ruckte vorwärts, fuhr um den Jeep herum und gab dann Vollgas auf den Fiesta zu. Der schäbige kleine Wagen hatte gar keine Chance. Es knirschte nur hohl, als der beschleunigendeLieferwagen in ihn hineinkrachte, dann hüpfte der Fiesta über den Weg und rutschte mit der geballten Widerstandskraft eines kaputten Pingpongballs in die Hecke. Die zerborstenen Fenster glitzerten im Regen und die Kühlerhaube klappte mit einem rostigen Knarren auf. Betrunkene Jubelschreie trieben durch den Wind. Der Lieferwagen setzte zurück, der Jeep nahm wieder seine Position ein und der Konvoi rumpelte weiter.
    »Sie sind zu viele«, sagte ich zu Lucas. »Wir haben überhaupt keine Chance. Was sollen wir bloß tun? Wir können doch nicht einfach   –«
    »Mach dir keine Sorgen«, sagte er und berührte meine Schulter. »Es gibt immer einen Ausweg. Es kommt nur drauf an, ihn zu finden.«
    Ich sah ihn an. Er war sich meiner Gegenwart kaum bewusst. Sein Gesicht hatte sich verdunkelt und war ernst, der Blick fixiert auf die heranrückenden Fahrzeuge. Wie die Augen eines Jägers. Eines gejagten Jägers.
    »Warte ab«, sagte er zu sich selbst. »Warte ab.«
    Die Wagen fuhren jetzt in den Hof, die Reifen knirschten auf dem nassen Kies, als sie einer nach dem andern in einem verwackelten Halbkreis, mit Blick auf das Haus, zum Stehen kamen. Die Motoren tickten in der plötzlichen Stille und dampften. Die Scheinwerfer glänzten kalt im Regen. Autotüren gingen auf und Gestalten stiegen aus. Ich konnte ihre Gesichter sehen. Ich konnte den meisten von ihnen Namen zuordnen. Jamie Tait und Robbie Dean im Jeep. Lee Brendell und Tully Jones vorn im Lieferwagen und ein weiteres halbes Dutzend Leute stolperte aus dem Heck. Mick Buck, ein paarRocker von der Insel und andere, die ich nicht kannte. Wahrscheinlich aus Moulton. Gesichter aus dem Dorf: Unruhestifter, junge Burschen, erwachsene Männer, die es hätten besser wissen sollen. Sogar Frauen. Ellen Coombe, eine Hand voll Mütter mit harten Gesichtern. Einige der Männer hatten Stöcke, Stäbe, Stangen und Flaschen dabei. Einer trug eine Machete. Alle waren auf die eine oder andere Weise high: vom Trinken, von Rauschgift, von Hass, Erregung, verquerer Moral, von der Aussicht auf Blut.
    Mein Magen drehte sich um.
    Ganz hinten, sich so weit wie

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