Luciano
sie nach Ihnen taufen, Schwester.«
Dann machte sich die angestaute Spannung in einem lauten Lachen Luft.
Sogar die Alte grinste und kam
herbei, und die Kinder in ih rer Decke schlurften hinterher. In der
dunklen Ecke meckerten die beiden Ziegen.
Maria wusch sich die blutigen Hände in der Schüssel. Lucia no sagte: »Das haben Sie prima gemacht.«
»Oh, vielen Dank, Mister
Luciano.« Sie lächelte ihm zu. »Könnte ich noch
heißes Wasser haben?«
Sie wandte sich wieder zum Bett, um
Elenas Leib und Schenkel zu säubern. Luciano trug die
Schüssel zur Tür und goß das Wasser in den Hof. Er
zündete sich eine Zigarette an, lehnte sich an die Tür und
blickte hinaus in den Regen. Seit Jahren hatte er sich nicht mehr so
lebendig gefühlt.
Solazzo trat mit einer Flasche in der Hand auf ihn zu: »Einen Schluck, Signor?«
Luciano trank aus der Flasche. Es war
billiger sizilianischer Schnaps und brannte bis hinunter in den Magen.
Er hustete und gab die Flasche zurück.
Solazzo nahm gleichfalls einen Zug.
»Stimmt das, was Sie über die gute Schwester gesagt haben,
Signor? Daß sie die En kelin von Don Antonio ist?«
»Gehören Sie zur Organisation?« fragte Luciano.
»Seit ich siebzehn war. Und Sie
auch, Signor.« Er zuckte die Achsel. »Da muß ich
nicht erst fragen. Dürfte ich erfahren, wie Sie
heißen?«
»Luciano.«
Solazzo riß vor Staunen den Mund auf. »Sie – Sie sind Lu ciano, Signor?«
»Stimmt.«
Solazzo ergriff seine rechte Hand und
küßte sie. »Don Salva tore – der Retter. Gott
hat Sie heute nacht aus diesem Sturm in unser Haus geschickt.«
»Schon möglich«,
erwiderte Luciano und blickte auf. Aus dem elenden Raum lächelte
Maria ihm traurig zu.
Fünfundzwanzig Kilometer weiter nördlich, in einem abge
legenen engen Tal hoch über Cammarata,
saß Antonio Luca allein beim Abendessen. Vor den geöffneten
Terrassenfenstern des alten, wirr angelegten Gehöfts lag die
Nacht. Das Holzfeu er im offenen Kamin in der Ecke machte den
großen Raum wohnlich, obwohl die Wände nur weiß
getüncht und der Fuß boden mit Steinplatten ausgelegt war.
Don Antonio saß am Ende des
langen dunklen Eichentisches und aß mäßig von den
aufgetragenen Gerichten. Narbe di San Paolo, Ravioli, mit Zucker und Richotta-Käse gefüllt und überbacken, und cannalo, die
berühmteste sizilianische Süß speise. Er griff nach der
Weinflasche, fand sie leer und schwang eine Tischglocke.
Die Frau, die daraufhin eintrat, war
nicht älter als dreißig, eine üppige Bäuerin,
deren breite Hüften das landesübliche schwarze Baumwollkleid
zu sprengen drohten. Ihr Haar war nachtschwarz und im Nacken zu einem
festen Knoten ge schlungen. Ihre olivbraune Haut zeigte die ersten
Fältchen, die Augen blickten freundlich.
»Noch eine Flasche, Caterina«, sagte er.
Sie ging wortlos hinaus, und er
zündete sich eine Zigarre an, stand auf, ging zum Kamin und
schürte das Feuer. Er war fünf undsechzig, das Haar und der
sorgfältig gestutzte Bart waren eisengrau, und die Jahre hatten
die große Gestalt kaum ge beugt.
Das Gesicht war das Bemerkenswerteste
an ihm. Es verriet Härte, Stolz und Arroganz, aber auch
auffallende Intelligenz. Wie die Bergbauern trug er Kordhosen, Weste,
ein rotes Fla nellhemd, und dennoch wirkte er seltsam elegant, wie ein
Ari stokrat in der Kleidung eines Wildhüters, erstaunlich, wenn
man wußte, daß er als Sohn eines armen Pächters zur
Welt ge kommen war und eine elende Kindheit durchleben mußte.
Caterina kam mit einer vollen Flasche Wein zurück. »Mario ist da.«
»Gut. Schick ihn herein und bring uns Kaffee.«
Er stieß die Holzscheite mit dem Fuß zurecht und drehte sich um, als die Tür wiederum aufging.
Der Eintretende war Mitte Fünfzig und sah
aus wie ein furchtloser Gladiator der die Arena überlebt hatte.
Der kleine ergrauende Mann mit dem liebenswürdigen Auftreten
konnte lächelnd töten, und er hatte auf Befehl seines capo häufig getö tet. Mario Sciara, Antonio Lucas starker rechter Arm.
»Nun?« sagte Luca.
Wieder ging die Tür auf, und Caterina kam mit dem Kaffee herein.
Sciara sagte: »Sie sind da, Don Antonio.«
»Luciano?«
»Ja.«
»Und meine Enkelin? Wo sind sie jetzt?«
»Ich weiß es nicht genau.
Sie waren in der Villa der Contes sa di Bellona, aber da gab's einen
Zwischenfall.«
»Was für einen Zwischenfall?«
Caterina blieb mit der Kaffeekanne
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