Lyonesse 3 - Madouc
die mittelst eines Taus und einer an der Trosse entlanglaufenden Rolle mit der ersteren verbunden war, wurde infolge der Schrägneigung der Trosse vorangetrieben. Bei Ebbe wurde die Fähre nach Süden gesogen; die Flut trug sie sodann wieder zurück nach Norden über den Fluß. Eine halbe Meile weiter westlich lief eine zweite Trosse in entgegengesetzter Schrägrichtung, so daß bei jedem Gezeitenwechsel die Fähren die Cambermündung in entgegengesetzten Richtungen überquerten.
Die Fähre, die Casmir und sein Gefolge trug, legte gerade vom Ufer ab. Seine Reiter waren abgesessen und banden ihre Pferde an einer Reling fest. Eine schlanke, in braunes Tuch gehüllte Gestalt verriet die Konturen Madoucs. Ihr Mund schien zugebunden oder gar mit einem Knebel verstopft.
Dhrun starrte hoffnungslos auf die Fähre. Casmir blickte einmal zurück, sein Gesicht eine unbewegliche weiße Maske. »Sie sind uns entwischt«, sagte Dhrun. »Zu dem Zeitpunkt, da wir endlich den Fluß überqueren können, werden sie bereits auf der anderen Seite von Pomperol sein.«
»Komm!« rief Aillas in plötzlichem Triumph. »Noch sind sie uns nicht entronnen!«
Er sprengte Hals über Kopf die Böschung entlang zu dem Stützpfeiler, der die Trosse hielt. Er sprang vom Pferd, zückte sein Schwert und hieb auf das straff gespannte Tau. Strang um Strang, Windung um Windung riß die schwere Trosse. Der Fährmann steckte den Kopf aus seiner Hütte und stimmte wütendes Protestgeheul an, dem Aillas keine Beachtung schenkte. Er hackte, sägte und schnitt; die Trosse sang und drehte sich, als die Spannung die Fasern zu überfordern begann. Schließlich riß die Trosse. Das lose Ende schlängelte sich die Böschung hinunter und klatschte ins Wasser. Die Fähre, nicht länger vorangetrieben vom seitlichen Schub der Strömung, trieb die Flußmündung hinunter auf die offene See zu. Die Trosse glitt surrend durch die Rolle und fiel schließlich ganz heraus.
Die Fähre trieb ruhig in der Strömung. Casmir und seine Leute standen mit hängenden Schultern auf dem Deck und schauten hilflos zum Ufer.
»Kommt!« sagte Aillas. »Wir reiten zur
Flor Velas
; sie erwartet unsere Ankunft.«
Der Trupp ritt die Böschung entlang zum Hafen, wo die
Flor Velas
, eine Galeasse von achtzig Fuß Länge mit einem Rahsegel, einem Paar Lateinsegeln und fünfzig Rudern, an ihrem Liegeplatz ruhte.
Aillas' Mannen saßen ab, gaben dem Hafenmeister die Pferde in Obhut und stiegen an Bord. Aillas gab unverzüglich den Befehl zum Ablegen.
Die Halteleinen wurden von den Pollern gelöst; die Segel wurden losgemacht und füllten sich sogleich mit einem günstigen Nordwind, und das Schiff glitt hinaus in die Flußmündung.
Eine halbe Stunde später legte sich die
Flor Velas
längsseits an die Fähre und machte mit Enterhaken an ihr fest. Aillas stand mit Dhrun auf dem Achterdeck; die zwei blickten mit ausdrucksloser Miene auf Casmirs verdrießliches Gesicht hinab. Cassander probierte einen schnippischen Salut, den sowohl Aillas als auch Dhrun übersahen, woraufhin Cassander ihnen hochmütig den Rücken zukehrte.
Vom Mittschiffsdeck der Galeasse wurde eine Leiter auf das Deck der Fähre heruntergelassen; vier Bewaffnete stiegen herab. Ohne die andern eines Blickes zu würdigen, traten sie zu Madouc, zogen ihr die Binde vom Mund und führten sie zu der Leiter. Dhrun eilte vom Achterdeck herunter und half ihr an Bord.
Die Ritter klommen zurück an Bord der
Flor Velas
. Casmir stand breitbeinig abseits und verfolgte das Geschehen mit ausdruckslosem Gesicht.
Kein Wort war gefallen, weder von der Galeasse noch von der Fähre. Aillas blieb noch für einen Moment an der Reling stehen und schaute auf Casmirs Truppe hinunter. Er sagte zu Dhrun: »Wenn ich ein wirklich weiser König wäre, würde ich Casmir hier und jetzt töten, und Cassander am besten gleich mit, und so ihrem Geschlecht ein Ende machen. Schau dir Casmir an; er erwartet es fast! Er selbst hätte nicht die leisesten Skrupel, wäre er an meiner Statt; er würde uns beidesamt metzeln und hätte noch Freude an der Tat.« Aillas gab seinem Kopf einen Ruck. »Ich kann es nicht. Vielleicht werde ich meine Schwäche eines Tages noch bereuen, aber ich kann nicht kaltblütig jemanden töten.«
Er gab ein Zeichen. Die Enterhaken wurden eingeholt und an Bord der Galeasse gebracht, die von der Fähre abfiel. Wind bauschte die Segel; Kielwasser gurgelte achteraus, und die Galeasse fuhr die Cambermündung hinunter und gewann alsbald die
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