M A S H 02 - in der Heimat
einen zeitlich begrenzten Sieg errungen, sagte ich ihnen. Wie lange er anhalten würde, ließ sich nicht Voraussagen. Aufgrund der Statistik waren die Heilungsaussichten gering.
Am nächsten Tag befand sich der Elch in unwahrscheinlich guter Verfassung. Er stand sogar auf und ging ein paar Schritte. Zum erstenmal seit Monaten konnte er wieder leicht atmen, aber schon stellten sich die ersten Schwierigkeiten ein. Der Elch konnte nicht mehr sprechen, weil wir seinen Sprechapparat entfernt hatten. Für gewöhnlich behilft sich ein solcher Patient mit geschriebenen Mitteilungen, bis er lernt, mit der Speiseröhre zu sprechen. Schreiben fiel für den Elch aus, denn das konnte er noch schlechter als lesen. Er kritzelte ein paar Worte hin, aber ich konnte sie nicht entziffern. Ich holte Leute aus der Klinik, die gelernt hatten, mittels Speiseröhre zu sprechen. Sie versuchten, ihn zu unterrichten, und er machte auch Fortschritte, aber sie waren gering.
Ansonsten aber ging es ihm gut. Ich hatte den Eindruck, als sei ihm das gar nicht recht, weil soviel Glück ihn mißtrauisch machte; wenn man in diesem Zusammenhang von Glück sprechen darf. Immerhin konnte er jetzt atmen, essen und gehen, und das alles war ihm vor der Operation nicht mehr möglich gewesen.
Nach zwei Wochen verließen der Elch und ich das Krankenhaus und fuhren nach Crabapple Cove. Bei uns pflanzen sich Neuigkeiten auf unbegreifliche Art fort. Jeder wußte, daß der Elch nach Hause kam. Es wäre übertrieben zu behaupten, daß sich die Gratulanten in den Straßen drängten, denn es gibt keine Straßen, und selbst dort, wo mehrere Häuser beisammenstehen, grenzen sie nicht aneinander. Trotzdem wartete vor jedem Haus eine Gruppe, um den Elch zu begrüßen, und ich mußte immer wieder anhalten. Er schüttelte Hände und lächelte allen zu. Seit Jahren war ich nicht mehr so vielen Nachbarn begegnet. Bei Flut erreichten wir den Strand gegenüber der Indianerinsel. Der junge Jonas erwartete uns im Hummerboot und führte seinen Vater heim.
Das Wunder währte den ganzen Sommer. Der Elch wurde kräftiger, er lernte sogar, auf unbeholfene Art zu sprechen, und holte einige Hummernetze ein. Sein Lächeln erlosch niemals, aber es strahlte nicht mehr so wie früher. Ihm war nur eine kurze Verschnaufpause vergönnt, und das schien er zu wissen. Ich wußte es, hoffte aber trotzdem. Ich besuchte ihn, so oft ich nur konnte. Manches Mal erzählte ich ihm Geschichten, die ich vor fünfundzwanzig Jahren von ihm gehört hatte. Dann leuchteten seine Augen auf, und sein altes Lächeln kehrte beinahe wieder. Abends bei Hochwasser ließen der Elch und ich und unsere Kinder die Angeln von den Felsen hängen und fingen Dorsche und Klippfische. Obwohl ich dauernd um ihn bangte, war es doch ein schöner Sommer für mich. Und ich hoffe, auch für ihn.
Ständig quälte mich der Gedanke, daß eine Resektion seiner linken Halsseite nötig war. Bei jedem Besuch tastete ich seinen Hals ab. Anfang Oktober zeigte sich der Knoten.
Er wußte es.
»Du mußt wieder unters Messer, Elch«, sagte ich zu ihm.
Er sog die Luft ein und versuchte Worte zu formen. Abgehackt sagte er: »Hol’s der Teufel.«
»Ich kann’s dir nachfühlen, Elch, aber wir können nicht auf halbem Weg stehenbleiben. Dazu haben wir uns beide zu sehr geplagt.«
Eine Woche darauf bereitete Joe Berry und ich uns auf eine linksseitige radikale Halsresektion vor. Vorher aber untersuchte ich noch die rechte Halsseite, die wir vor Monaten operiert hatten. Ich entdeckte einen Knoten, den ich vorher nicht gefühlt hatte. Eine Probeexzision bestätigte, was wir alle wußten: Der Krebs war auf der rechten Seite neu aufgeflammt.
Wir waren am Ende. Ich schickte den Elch heim. Er mußte es durchstehen, so gut es ging. Ich beschloß, vorderhand auf Röntgenbehandlungen zu verzichten. Ich wollte ihn nicht früher als unbedingt nötig von seinem Zuhause trennen.
Im November breitete sich eine Grippeepidemie in Crabapple Cove aus. Der Elch steckte sich damit an, hustete, schnupfte und bekam keine Luft. Ich gab ihm verschiedene Mittelchen, keines half. Dort, wo wir den Stumpf der Luftröhre an die Haut genäht hatten, bildeten sich Krusten. Genau im Atemraum. Sie versperrten ihm die Luft.
Ich führte in meinem Wagen ein Bronchoskop mit. Zwei bis drei Abende pro Woche fuhr ich zur Indianerinsel, traf den Elch mit schwerer Atemnot an, führte das Bronchoskop ein und holte die Krusten heraus. Dann atmete er frei, sah mich dankbar an,
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