M A S H 02 - in der Heimat
grinste ein bißchen und schüttelte den Kopf. Drei Tage vor dem Erntedankfest wäre er beinahe erstickt, bevor ich eintraf. Ich befreite ihn von einer dicken Kruste und bestand darauf, ihn ins Krankenhaus zu stecken. Am Morgen des Erntedankfestes säuberte ich seine Luftröhre so gründlich wie nur möglich, ehe ich ihn für den Rest des Tages zurück auf seine Insel brachte. Viel hat er nicht von dem traditionellen Truthahn gegessen. Die Knoten im Hals wurden sichtlich größer, und das Schlucken fiel ihm schwer.
Am nächsten Morgen holte ich den Elch am Strand gegenüber der Insel ab. Ehe er in den Wagen stieg, der ihn nach Spruce Harbor bringen sollte, blieb er einen Augenblick stehen und sah sich um. Sein Blick glitt über seine Insel und dann hinaus über die Bucht. Er sah sich die vielen kleinen Inseln an und die Stellen, wo die Hummer leben. Es war ein Abschiedsblick. Wir wußten es beide.
Von dem Tag an machte es der Elch auf die schwere Tour. Der Krebs griff immer weiter um sich. Röntgenbestrahlungen halfen nicht. Auf neue Medikamente, die manche Krebsgeschwüre eindämmen, sprach er nicht an. Trotz der Nebelzelte und allem, was ich mir sonst noch ausdachte, bildeten sich laufend neue Krusten. Sein Geist verwirrte sich zusehends. Er kroch aus dem Nebelzelt. Er machte alles kaputt, was ihm helfen mochte, die Atemwege frei zu halten. Zum Glück hatte er nur mehr ganz selten lichte Momente.
Ich legte ihn in ein Privatzimmer und ließ ein Bronchoskop und eine Pinzette für die Krusten an seinem Bett. Manchmal bronchoskopierten ihn Joe Berry und ich fünf– bis sechsmal am Tage. Einmal, nachdem ich die Luftröhre eben wieder gesäubert hatte, erwachte der Elch und sah mich an. Er brachte keinen Ton hervor, aber seine Lippen formten die Worte: »Laß mich gehen, Hawk.«
»Ich wollte, ich könnte es, Elch, aber ich darf es nicht«, war meine verzweifelte, törichte Antwort.
Vor Weihnachten setzte eine leichte aber deutliche Besserung ein. Der Schorf bildete sich nicht mehr so häufig. Jonas war längere Zeit bei klarem Bewußtsein. Ich verbrachte jede freie Minute bei ihm. Er hatte nur eine einzige Frage, und immer wieder versuchte er, sie zu stellen »Wann ist Weihnachten?«
Zuerst fehlten zehn Tage, dann fünf und schließlich nur mehr einer. Bevor ich an jenem Nachmittag nach Hause ging, stellte er wieder seine tägliche Frage. Dann lächelte er, schluckte und krächzte: »Weihnachten erlebe ich noch!«
Am Heiligen Abend schmückten wir unseren Christbaum und brachten die Kinder zu Bett. Mary und ich hatten Geschenke für die Familie des Elchs. Auch Mutter und der Große Benjy hatten an sie gedacht. Um neun Uhr legte Benjys Boot an und wir fuhren zur Indianerinsel. Irgendwie gelang es Martha und den Kindern, den Weihnachtsabend mit einem sehr innigen, wenngleich zaghaften Gefühl des Glücks und der Dankbarkeit zu feiern.
Der Große Benjy und ich bleiben ein Weilchen, tranken Kaffee und übergaben die Geschenke. Dann verabschiedeten wir uns. Am Christtag stand ich um fünf Uhr früh auf, weil ich nach Spruce Harbor fahren, den Elch besuchen und rechtzeitig daheim sein wollte, um die Weihnachtspakete zu öffnen. Der Nachtpförtner sagte: »Guten Morgen, Dr. Pierce. Mr. Lord ist schon wach und erwartet Sie.«
Ich eilte in sein Zimmer. Der Elch saß auf der Bettkante. Er begrüßte mich mit einem Lächeln, das an bessere Zeiten erinnerte. Mit einer Handbewegung forderte er mich auf, mich neben ihn zu setzen. Er war lebhaft, atmete frei und sprach deutlicher als seit zwei Monaten.
»Fröhliche Weihnachten, Hawk.«
»Ebenfalls, Elch.«
»Meine Leute kommen nach der Kirche zu mir.«
»Ich weiß, Elch. Benjy und ich waren gestern abend auf der Insel.«
»Hawk, ich mach’s nicht mehr lange.«
Ich wollte etwas erwidern, aber er legte mir seine große Hand auf die Schulter.
»Lüg mich nicht an, Hawk. Ich bin zufrieden. Es macht mir nichts aus. Ich habe ein glückliches Leben gehabt.«
Das sagte er mir krächzend und keuchend oder auch nur mit stummen Bewegungen seiner Lippen, aber dabei strahlte sein Lächeln wie seit langem nicht mehr.
»Okay, Elch.« Unbeholfen legte ich ihm den Arm um die Schultern.«
»Wirst du nach Martha und den Kindern sehen, Hawkeye?«
»Das weißt du doch, Elch.«
Sein Lächeln vertiefte sich. »Geh nach Hause zu deiner Familie, Hawk.«
»Also dann bis morgen, Elch.«
Seine Augen lachten mich an. Er schüttelte den Kopf. »Leb wohl, Hawk. Warst ein guter Freund«,
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