Macabros 014: Knochensaat
lautete die erstaunliche Antwort.
Macabros blickte sich in der Runde um. »Ich kann ihn nicht
sehen.«
»Das ist eben so, damit müssen Sie sich abfinden. Auch
mich werden Sie bald nicht mehr sehen.«
Die Gestalt warf den altmodischen Umhang nach hinten. Der blanke
Totenschädel und die knochigen Schultern leuchteten kalt und
weiß wie frische Tünche.
»Was ist geschehen, Mistress Owen? Sprechen Sie
darüber!« Macabros registrierte, daß die Knochen der
ihm gegenüber stehenden Gestalt langsam durchscheinend
wurden.
»Warum sollte ich? Sie können doch nichts damit
anfangen. Ihr Freund hat es schon versucht. Er wußte auch von
James’ Rückkehr. Als ich das merkte, ließ ich ihn
herein.«
»Um ihn zu töten. Warum?«
»Damit er niemand warnen kann.«
»Warum sollte er jemand warnen?«
»Neugierige Reporter haben meistens die Angewohnheit,
über das zu schreiben, was sie erfahren.«
»Und das hätte er nicht tun sollen?«
»Nein. – Noch nicht«, fügte die Knochengestalt
einschränkend hinzu.
»Dann war er wohl etwas zu früh gekommen?«
»Ja.«
Das Skelett bewegte sich mit kleinen Schritten auf Macabros zu.
Der wich nicht zurück. Die skelettierten Finger streckten sich
ihm entgegen.
»In dem Augenblick, als Sie vorhin in die Wohnung
stürmten, waren Sie schon eine Verlorener«, flüsterte
die gespenstische Stimme in dem hohlen Körper. Es hörte
sich an, als würde der Wind in den Knochen säuseln.
»Meine Berührung – jetzt wieder – «, zischte
die bösartige Stimme, und die Knochenhände stießen in
sein Gesicht. Macabros zuckte nicht mal zusammen. » –
führt zum Tod! Was James brachte, wird sich ausdehnen, aber das
Grauen wird dennoch nicht ausreichen, die anderen
abzuschrecken«, wisperte es geheimnisvoll.
»Abzuschrecken? Wovor?«
»Auch hinzugehen. Deshalb bist du doch auch hier, nicht wahr?
Ihr hattet euch doch abgesprochen?«
»Ja«, log er, um sie in diesem Glauben zu lassen. Sie
sah die Dinge irgendwie anders.
Ein leises, gefährliches Kichern kam aus dem Skelett.
»Ihr seid Narren! Alle! Ich habe dich berührt. Du wirst
so werden wie James, so wie ich. Als er nach Hause kam, vertraute er
sich mir an. Er war todkrank. Er hatte die Knochensaat mitgebracht.
Erst zeigte er sich mir nicht, aber am nächsten Morgen sah ich
ihn im Bett liegen, die eine Körperhälfte völlig kahl.
Seltsamerweise hatte ich keine Furcht. Ich begriff auch weshalb: ich
hatte mich infiziert. James’ wahres Aussehen zerfiel innerhalb
einer Woche. Als Skelett existierte er noch zwei Tage. Dann war er
überhaupt nicht mehr wahrnehmbar. Wir konnten uns noch einige
Tage sprechen. Sein Geist füllte noch diese Räume. Aber
dann war auch er nicht mehr zu registrieren. Heute bricht mein
zweiter Tag an. Vielleicht sind es noch ein paar Stunden, vielleicht
auch nur noch Minuten, in denen Sie mich wahrnehmen können. Dann
wird es mich nicht mehr geben.« In die Stimme mischte sich ein
Unterton, dem eine gewisse Traurigkeit anhaftete. Für einen
Moment schien sich Diana Owen ihrer menschlichen Herkunft zu
erinnern. »Es tut mir leid«, flüsterte sie
plötzlich, und die großen dunklen Augenhöhlen waren
auf den Gast gerichtet. »Ich wollte es nicht… ich
mußte es tun…« beeilte sie sich hinzuzufügen.
Der Zeitpunkt der Auflösung kam schneller, als sie erwartet
hatte.
Durchsichtig wie Glas wurden die Knochen. Durch den Schädel
konnte Macabros die Wand dahinter wahrnehmen.
In diesen Sekunden, wo alles in Bewegung geriet, wo sie sich in
ein reines Gespensterwesen verwandelte, kam ihr ganzes Menschsein
noch mal durch.
»Fliehen Sie aus diesem Haus, ich flehe Sie an! O mein Gott,
was habe ich getan? Ich habe einen Menschen erschossen… ich habe
den Keim an Sie weitergegeben. Bleiben Sie hier im Haus, verlassen
Sie es nicht! Ich habe auch dagegen angekämpft, es ist mir
gelungen. Aber der Besuch hätte nicht kommen dürfen…
und…«
Kaum noch wahrnehmbar waren die milchigen Umrisse. Das Skelett sah
aus, als würde es unter einer ungeheuren Hitzeeinwirkung
zerschmelzen.
»Einer ist unterwegs, überzeugt davon, den Fluch des
Goldenen Gottes zu überlisten«, raunte es noch. »Aber
er schaffte es nicht. Wer es probiert – der ist
verloren.«
»Wer ist unterwegs?« Die Andeutung gab Macabros einen
Stich.
»Er hat… sich eine Abschrift… gemacht… das
Original ist noch…«
Ein grauer Nebelstreif verwehte. Das Skelett existierte nicht
mehr!
Lautlos fiel das Gewand auf den Boden, das während
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