Macabros 022: Phantom aus dem Unsichtbaren
Orloks
Reich registriert.
Ein großer roter Kreis breitete sich unter ihm aus. Mitten
drin kam er an und fühlte plötzlich wieder festen Boden
unter den Füßen. Rote und grüne Nebel wogten und
ließen nur schemenhaft die fremdartige, bizarre Welt ahnen, die
sich dahinter ausbreitete.
Er nahm nur schemenhaft das bizarre Tor wahr, das einen
mächtigen Bogen vor ihm bildete. Zyklopische Mauern schlossen
sich dem Torbogen an und bildeten eine düstere, in die Ferne
führende Gasse.
Das Tor wurde bewacht. Eindeutig hatte Abraxas davon
gesprochen.
Es war, als hätte es nur dieses Gedankens bedurft.
Ein heiseres, furchteinflößendes Fauchen drang an seine
Ohren.
Björn warf sich herum. Im gleichen Augenblick sah er den
roten Strahl auf sich zu rasen und spürte die enorme Hitze, die
er entwickelte.
Instinktiv reagierte er.
Er ließ sich einfach nach vorn fallen. Keine Sekunde zu
früh.
Fauchend schoß der Flammenstrahl über ihn hinweg und
jagte durch die riesige Toröffnung.
Heißer Rauch stieg vor ihm auf. Als der sich lichtete, sah
er das Unfaßbare.
Ein schuppiger Koloß, ähnlich einem urwelthaften
Saurier, stand vor ihm.
Ein dumpfes Brüllen drang aus dem aufgerissenen Maul der
Echse. Mit tolpatschigem Schritt kam sie näher und stand
hochaufgerichtet. Die kleineren Vorderbeine zuckten wie
Auswüchse unterhalb der Brust, die heller schimmerte als die
gepanzerte Oberfläche des Körpers.
Das mit dolchartigen Zähnen bewaffnete Maul war groß
genug um ihn in seiner ganzen Größe aufzunehmen.
Björn wich einen Schritt zurück.
Sein Gesicht war angespannt und starr wie eine Maske.
Sein Herz pochte heftig, er fühlte jeden einzelnen
Schlag.
Die Stunde der Entscheidung war gekommen.
Dieser feuerspeiende Drache war Realität, wie er selbst es
war. Das war keine Halluzination, keine Fata Morgana.
Dieser Drache würde ihn, den Eindringling, nicht passieren
lassen und ihm den Weg zu Orlok, dem Phantom, versperren.
Ein Mensch des 20. Jahrhunderts wurde mit einem Phänomen
konfrontiert, das in eine ferne, unwirkliche, sagenhafte
Vergangenheit der Erdgeschichte gehörte. All die Sagen und
Legenden, in denen tapfere Ritter und feuerspeiende Drachen vorkamen,
gingen ihm blitzartig durch den Kopf. Abenteuer, die er als Junge
gelesen hatte, liefen vor seinem geistigen Auge ab wie auf einer
Kinoleinwand, und er hätte in diesen Sekunden nicht zu sagen
vermocht, ob er sie nur gelesen – oder vielleicht nicht doch
erlebt hatte?
Das urwelthafte Brüllen aus dem Rachen des Ungetüms
ließ die Luft erzittern. Aus dem Maul schoß eine Flamme.
Hellmark warf sich erneut zur Seite und sah, wie die Feuersbrunst
über den Boden flackerte und die Stelle dort zum Dampfen
brachte.
Eine Hitzewelle traf sein Gesicht.
Björn sprang auf die Beine, stolperte, taumelte zurück
– und merkte voller Entsetzen, daß es von hier aus nicht
weiter ging. Er hatte die grobe Steinmauer des Torbogens genau im
Rücken. Ein Zurückweichen war unmöglich…
*
Als sie die Augen aufschlug, stand die Sonne hoch am Himmel.
Mit erschrecktem Aufschrei warf Janina Sallas die Decke
zurück und sprang aus dem Bett.
Sie wollte es nicht glauben, als ihr Blick auf den altmodischen
Wecker fiel.
Halb zehn.
So lange hatte sie noch nie geschlafen.
Doch gestern war es besonders spät geworden. Nach Renions
Weggang hatte sie noch stundenlang mit Manuel diskutiert und
versucht, Licht in das geheimnisvolle Dunkel der Gaben und Talente
ihres Bruders zu tragen. Es war, als ob sich tief in Manuels
Erinnerung etwas rührte, daß er selbst erschrocken war
über die Erkenntnis, die er gewonnen hatte, über die er
aber dann doch nicht sprach.
Janina schlüpfte aus dem dünnen Nachthemd und lief
splitternackt auf die Toilette, in der es eine Duschecke gab. Sie
brauste sich kalt ab, kämmte schnell die Haare und kleidete sich
an.
»Manuel?« fragte sie beim Betreten des Korridors. Sie
hoffte, eine Antwort zu erhalten, entweder aus der Küche oder
von oben aus dem Atelier. Aus Erfahrung wußte sie, daß
ihr Bruder oft morgens nach dem Aufstehen schon wieder ins Atelier
ging und die Arbeiten begutachtete, die im Trancezustand unter seinem
Pinsel entstanden waren.
Keine Antwort erfolgte.
Sie warf einen Blick in die Küche. Keine schmutzige Tasse
störte. Der Kessel war ebenfalls nicht aufgesetzt. Manuel hatte
noch keinen Kaffee getrunken.
Schlief er noch?
Janina lief die Treppe nach oben. Neben dem, als Atelier
eingerichteten Zimmer, befand sich
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