Macht: Thriller (German Edition)
Dieter schon ordentlich Schlagseite hatte und ziemlich zufrieden wirkte. Er beschloss, es ihm gleichzutun. Von dem Geld, dass ihm sein Vater für das Taxi für die Heimfahrt mit Josi gegeben hatte, bestellte er sich einen Gin Tonic. Den ersten in seinem Leben, aber beileibe nicht den letzten. Nachdem drei leere Gläser vor ihm auf dem Tresen standen, und sein Gesicht taub wurde, bestellte er einen vierten und verkündete, dass es jetzt Zeit für eine Zigarette war. Er nahm den Gin Tonic und wankte hinauf an die frische Luft.
An Deck nahm er Anlauf und warf das geleerte Glas in den Donaukanal. »Grüß Bratislava von mir!« Er zündete sich eine Smart an und lehnte sich gegen die Reling. Das Glas tanzte zwischen den Wellen und verschwand mit der Strömung im Schwarz der Nacht. Der Wind frischte auf. Gernot zog den Smoking enger um seinen verschwitzten Oberkörper und klapperte mit den Zähnen. Die kühle Brise vertrieb die Dunstschwaden aus seinem Kopf. Zu der wiederkehrenden Klarheit gesellte sich die Verzweiflung. Sie traf Gernot wie ein Bumerang. Er schaute zur hell beleuchteten OPEC-Zentrale am anderen Ufer hinüber und lachte sich aus. Nie wieder würde er sich für eine Tussi den Bart abrasieren. O, nein! Diese Josi, das war eine Schlampe. Jawohl! Sollte sie doch alleine oder mit diesem Blödarsch Peter nach Deutschland, wenn sie das unbedingt wollte.
»Du bist Gernot, Gernot Szombathy, stimmt’s?«
Gernot zuckte zusammen. »Ja, der bin ich.« Ein kräftiger Sechzehnjähriger in Hemd und Weste stand hinter ihm und strahlte ihn an. Er war etwas kleiner als Gernot und hatte einen klobigen geschorenen Kopf. Ein Ohrstecker glitzerte in seinem Ohrläppchen. »Und wer bist du?«
»Ernst Wotruba, aber alle sagen Ernstel zu mir!« Er streckte die Hand aus und kam auf Gernot zu.
»Seltener Name. Ernst.«
»Ja, mein Vater ist Kiberer, ein Kriminaler. Als ich geboren worden bin, hat er mich auf den Arm genommen und zu meiner Mutter gesagt: › Ernst ist das Leben, Ernst soll er heißen! ‹ « Er zuckte mit den Achseln und schmunzelte.
Gernot schüttelte Ernstels Hand und erinnerte sich dunkel, ihn schon einmal gesehen zu haben. »Bist du nicht einer von den Zweitklässlern gewesen, die wir vor ein paar Jahren auf dem Gang eingefangen und dem großen Badat in de Eboredrag geopfert haben?« Badat war ein rosa Gummiball gewesen, der in der Klassengarderobe herum gekugelt war.
»Ja, ihr habt mir den Spottnamen Zauberer Tintifax gegeben, mich an Armen und Beinen festgehalten und auf den Lehrertisch gelegt. Und dann das Tafeldreieck: Zack! Es war klasse!« Ernstel imitierte die Bewegung mit dem großen Geodreieck, steckte die Hände in die Hosentaschen und wippte grinsend auf und ab. »Ihr wart meine Helden. Klasse Burschen! Eure Streiche sind legendär. So was wie der 96er Jahrgang, das kommt nie mehr.«
»Das hat dir gefallen?« Gernot war verblüfft. »Ich hielt das immer für knapp an der Kippe zur Grausamkeit …«
»Scheiß drauf! Leiwand is des gewesen! Hat uns das Gefühl gegeben, zu euch, zu den Großen, zu gehören. Wir haben noch was ausgehalten und waren stolz drauf! Die kleinen Krätzen von heute haben überhaupt keinen Respekt mehr vor der Oberstufe, oder sie fangen gleich an, zu flennen.« Ernstel klopfte Gernot auf den Oberarm. »Was is, darf ich bei euch mitmachen? Beim Loser’s Club, mein ich.«
»Wieso nicht? Ich stell dich den anderen vor.« Gernot hakte sich bei Wotruba unter und zog ihn mit an die Bar. »Nunc est bibendum!«
»Was ist los?«
»Das ist von Horaz und heißt: Jetzt wird gesoffen!«
»A gescheiter Mann, der Horaz.«
Herr Szombathy diskutierte gerade angeregt mit Herrn Fuchs über Sinn und Unsinn der institutionalisierten Religion, als er seinen Sohn erblickte und schluckte. »Äh, Rósza, meine Liebe, ich denke, es ist an der Zeit, dass wir gehen!« Er stand auf und strebte zur Bar. »Und dasselbe gilt für dich! Sag für heute › Adieu ‹ zu deinen Freunden! Jungs, Sabine, kommt gut nachhause!« Szombathy hievte den sturzbetrunkenen Gernot vom Barhocker und bugsierte ihn zur Garderobe, wo er seinem Sohn den Staubmantel anzog.
»Papa, Papa«, schluchzte Gernot und legte den Kopf auf die Schulter seines Vaters. »Es tut mir ja so leid, ich hab das Taxi versoffen.«
»Das macht nichts, mein Junge! Du brauchst das Geld sowieso nicht.« Szombathy hielt Gernots Kopf in die Nachtluft und verfolgte von weitem, wie Rósza die Verabschiedungsrunde abschloss und das schwarze
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