Madame Fabienne
Frühling.
Er stieg aus und schloss die Tür, so leise er nur konnte. Warum machte er denn das? Egal. Vielleicht könnte er das Foto von Fabienne in diesen Schuhkarton zurücklegen, ohne dass es jemand auffiel.
Er ging die wenigen Stufen zum Eingang nach oben, und dabei benetzte der Nieselregen sein Gesicht. Die Haustür war nicht verschlossen, und er betrat die Diele. Gleich bei der Garderobe standen zwei schwarze Reisekoffer, verdammter Mist. Ob die beiden Frauen auch ohne ihre Gage die Stadt verlassen würden? Vielleicht könnte er das verhindern...
Er ging weiter zum Salon und blieb auf der Türschwelle stehen. Véronique saß auf der langen Ledercouch und packte Klamotten in einen aufgeklappten Schalenkoffer. Sie trug eine hellgrüne Trainingshose und ein Unterhemd, das ihr eng auf der Haut lag. Ihre Wäsche war schon gefaltet und gestapelt, dazwischen sah man etwas Schwarzes— war das ne Pistole?
Für eine Sekunde kreuzten sich ihre Blicke, dann legte Véronique einen Stapel Wäsche auf den Couchtisch und bedeckte, was immer dort auch lag. Vielleicht war es doch keine Pistole gewesen, oder? Véronique zog sich eine Trainingsjacke über und schaute ihn an, ohne etwas zu sagen.
So wie es aussah, müsste er jetzt wohl berichten, was vorgefallen war. "Hallo", er zeigte ihr den großen Umschlag.
"Kommst du aus der Fabrik?"
"Ja..." Er ging zwei, drei Schritte auf sie zu, "Ich komm aus der Fabrik."
"Hast du unser Geld dabei?"
Er zögerte ein wenig, "Nein."
Sie schwieg einen Moment, und man hörte Schritte im Treppenhaus. Als Jean Claude sich umdrehte, kam Fabienne in den Salon. Sie trug die graue Hose, die zu ihrem Kostüm gehörte; bei der weißen Bluse standen die oberen Knöpfe offen. Sie wandte sich an Véronique, "Er hat das Geld nicht dabei, oder?"
"Nein."
Fabiennes Stimme wurde lauter, "Ich habe es dir doch gesagt."
Jean Claude hielt den Umschlag wieder in die Höhe, "Ich habe das hier für dich."
"Was ist da drin?"
Er zuckte mit den Achseln, "Das weiß ich auch nicht genau."
Fabienne riss ihm den Umschlag aus der Hand, machte ihn aber nicht auf. "Wann bekommen wir unser Geld?"
"Ich bin nur der Bote."
"Das ist keine Antwort."
Er konnte die Blicke der beiden Frauen auf sich spüren: "Es ist etwas schief gelaufen."
Einen Moment sprach niemand, und man hörte, wie der Regen gegen die Scheiben fiel. Fabienne setzte sich auf einen der Sessel und riss nun den Umschlag auf, "Und was ist schief gelaufen?"
"Dieser Hasan war zwar bereit, GMN zu verkaufen, aber—"
"Aber was?! Wir haben den Auftrag erfüllt."
"Ich... habe kein Geld für euch, nur diesen Umschlag. Dieser Hasan war offenbar nur eine Fassade. Seine jüngere Schwester ist die Chefin. Deswegen kam auch kein Vertrag zustande."
Véronique klappte den Schalenkoffer zu und schloss ihn ab, "Und was heißt das jetzt?"
"Das heißt, der Auftrag ist noch nicht zu Ende."
Fabienne zeigte auf die zwei, drei Din-A4 Seiten, die im Umschlag gewesen waren, "Was soll das sein?"
Jean Claude zuckte mit den Achseln, "Es gab nur wenig Zeit, um den Text zu schreiben. Vielleicht wird noch ein längeres Dossier nachgereicht."
"Aha." Fabienne wandte sich an Véronique: "Ich will mit dir reden, allein."
"Okay, wir gehen am besten nach oben."
"Gute Idee." Fabienne zeigte auf Jean Claude, "Du wartest hier, ja?!"
Er wollte noch etwas sagen, aber da waren die beiden Frauen schon gegangen. Einen Moment konnte man noch ihre Schritte auf der Treppe hören, dann blieb alles still. Manchmal kam draußen der Wind auf, und es fing an zu rauschen. Im Salon war das Licht so trüb, dass er eine der Deckenleuchten anschaltete.
Wie schlecht ihm auf einmal war. Wahrscheinlich könnte er es heute nicht mehr mit Fabienne machen, wie wütend sie gewesen war... Ob ihr überhaupt was an ihm lag? Wahrscheinlich schon, es hatte ihr doch auch Spaß gemacht.
Vielleicht könnte er jetzt das Foto zurücklegen, aber diesen Schuhkarton konnte er nirgends mehr entdecken. Vielleicht hatte man das Ding auch schon für die Reise verpackt. Und was jetzt? Er würde das Bild erst mal behalten. Wenn er es einfach so hinlegte, würde es doch gleich auffallen.
Er setzte sich in einen der Ledersessel, und sein Blick fiel auf den geschlossenen Schalenkoffer. Da war etwas auf dem Couchtisch gelegen, für einen Moment hatte er gedacht, es wäre eine Pistole. Aber jetzt war da nur noch Véroniques gestapelte Wäsche. Ob sie den Koffer extra abgeschlossen hatte, weil sich darin eine Waffe
Weitere Kostenlose Bücher