Madame Fabienne
Dossier wird noch geschrieben, das wird noch besser. Ich möchte das nicht am Telefon besprechen. Warum kommen Sie nicht in die Fabrik?"
Er sah für eine Sekunde oder zwei zu Fabienne: Sie beobachtete ihn. "Es soll auf der Stelle geklärt werden."
"Aha, die Sache mit dem Geld kann nur Herr Vacaro entscheiden. Einen Moment, bitte." Bikem Taschkan ging aus der Leitung, und man hörte Musik. Jean Claude schaute wieder auf die Terrasse, um so die Blicke der beiden Frauen zu meiden. Jetzt würde er doch mit Vacaro sprechen, obwohl er das nicht wollte.
Wie warm es hier drinnen war. Er machte die Glastür einen Spalt weit auf, und man fühlte nun, wie der Wind in den Salon blies. Die frische Luft tat ihm gut.
Die Musik verstummte nun, und ein Mann meldete sich: "Ja", es war eine kehlige Stimme. "Ich habe gehört, es gibt Probleme."
Das war Luigi Vacaro— der Kerl machte ihm Angst, wenn er ihn bloß sprechen hörte. Was war nur los mit ihm, das war doch übertrieben. Er musste sich räuspern, "Ich soll Sie anrufen und mit Ihnen verhandeln. Man möchte hier Geld—"
"Dafür ist das Telefon ungeeignet. Kommen Sie in die Fabrik. Wir besprechen das hier."
"Alles klar. Natürlich."
Der andere unterbrach die Verbindung, und Jean Claude wandte sich wieder den beiden Frauen zu. Er versuchte zu lächeln: "Tja... Das war Herr Vacaro."
Fabienne stand auf und schlenderte zur Fensterfront. Für einen Moment sah sie nach draußen und zeigte ihm somit ihren Rücken, aber dann wandte sie sich ihm wieder zu: "Also gut, du fährst in die Fabrik und verhandelst dort für uns. Wir wollen einen weiteren Teil der Gage haben. Sonst läuft gar nichts."
Véronique zeigte auf ihn, "Gar nichts. Hörst du?"
"Ich hab's kapiert." Ein Seufzer glitt ihm über die Lippen, und er schob beide Hände in die Hosentaschen.
"Am besten, du fährst gleich los."
Fabienne ging ganz nah an ihm vorbei, "Das ist ne gute Idee. Je früher die Angelegenheit geklärt ist, umso besser."
Die zwei meinten es ernst. Er nickte den beiden noch mal zu und ging dann nach draußen. Der Regen hatte inzwischen nachgelassen, und es nieselte nur noch. Als er in den Wagen stieg, fiel ihm auf, dass die beiden Frauen auf den Steinstufen standen und beobachteten, was er tat.
Er fuhr also los und sah dabei noch mal in den Rückspiegel: Fabienne trug diese bunte Bluse und darüber den Blazer aus schwarzem Leder; Véronique hatte immer noch den hellgrünen Trainingsanzug an, ihre roten Haare reichten ihr bis auf die Oberarme. Die zwei benutzten ihn doch, oder übertrieb er jetzt? Nein, nein, ganz und gar nicht. Für die beiden war er bloß ne Marionette, und bei der Fabrik war es doch das Gleiche.
Er müsste aufpassen, dass er bei dieser Sache nicht den Kopf verlor.
*
Fabienne saß auf dem Beifahrersitz und schaute durch die Heckscheibe. Es gab viel Verkehr, und deswegen könnte ihnen wohl jemand folgen, ohne gleich bemerkt zu werden. Sie sah wieder nach vorne und beobachtete unauffällig, wie Véronique den Mercedes lenkte. Wenn sie das Geld von der Fabrik nicht bekämen, wären sie zunächst auf ihr Erspartes angewiesen.
Irgendwie müsste sie Véronique dazu überreden, dass sie jetzt weniger ausgab; niemand wusste, was die Zukunft für sie bringen würde. Vielleicht war es auch nötig, dass sie sich von Véronique trennte und wieder ihren eigenen Weg ging. Was würde sie dann wohl machen?
Darauf fiel ihr nun auch keine Antwort ein.
Für einen Moment konnte sie vor ihrem geistigen Auge sehen, wie sie in diesem Supermarkt in Royan Waren in die Regale sortierte. Es war ein Tag im Winter gewesen: Graue Wolken lagen über dem Städtchen, und der Wind blies vom Ozean her. Véronique kam vorbei und legte ein paar Sektflaschen in ihren Einkaufswagen. Da nur wenig Betrieb war, blieb Zeit, um sich ein bisschen zu unterhalten.
Wie lange das alles schon her war...
Zurück in einen Supermarkt wollte sie auf alle Fälle nicht mehr, aber was könnte sie sonst machen? Sie konnte gut, was sie die ganze Zeit über getan hatte; und Véronique war ja immer dabei gewesen, aber jetzt...
"Ist irgendwas?"
"Hast du eigentlich einen Stadtplan?"
Véronique wies mit dem Kopf auf das Handschuhfach, "Da drin."
Fabienne holte die Karte hervor, brauchte aber einen Moment, bis sie Oppau finden konnte. So wie es aussah, fuhren sie direkt auf den Ortsteil zu. Auf der linken Seite gab es Kleingärten und unbebautes Gelände, auf der rechten sah man die BASF mit ihren Silos und qualmenden
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