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Madrapour - Merle, R: Madrapour

Madrapour - Merle, R: Madrapour

Titel: Madrapour - Merle, R: Madrapour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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los?« fragt sie und wendet sich mit einer ruckartigen Kopfbewegung ihrer Nachbarin zu.
    »Aber Sie sehen doch, was los ist«, antwortet Mrs. Banister unwirsch, als ob es ihr widerstrebte, das Vorgefallene beim Namen zu nennen.
    »Mein Gott!« sagt Mrs. Boyd und steckt, bevor sie ihren Gefühlen freien Lauf läßt, die beiden Bällchen wieder in die Plastschachtel und die Schachtel in ihre Tasche. »Mein Gott!« Sie läßt das vergoldete Schloß ihrer Tasche zuschnappen. »Aber das ist ja entsetzlich! Der Ärmste! So weit von den Seinen entfernt zu sterben! Wo wird man ihn hinbringen?« fährt sie übergangslos fort.
    Ohne ihre kleine Hand aus den warmen, kräftigen Händen Manzonis zurückzuziehen, dreht sich Mrs. Banister zu Mrs. Boyd um und flüstert vernehmlich: »Margaret, ich bitte Sie, hören Sie auf! Sie machen sich verhaßt!«
    »My dear! Ich und verhaßt!«
    »Hören Sie, Margaret, ich flehe Sie an, regen Sie sich nicht auf. Übrigens ist man nicht einmal sicher, ob …«
    Sie bricht ab.
    »Wie!« fragt Mrs. Boyd, und ihre runden Augen schweifen vorwurfsvoll über den Kreis. »Man ist dessen nicht sicher?«
    »Nein, Madame!« schreit Blavatski so laut und in so vernichtendem Ton, daß Mrs. Boyd auf ihrem Sessel zusammenzuschrumpfen scheint.
    Schweigen folgt diesem Ausbruch.
    »Da niemand sein Herz abhören will«, sagt Madame Murzec leise mit gesenktem Blick, »könnte man ihm wenigstens einen Spiegel an den Mund halten. Wenn der Spiegel beschlägt, lebt er noch.«
    »Das ist eine Methode aus Großmutters Zeiten«, sagt Blavatski verächtlich. »Sie ist nicht beweiskräftig.«
    »Wenn wir keine andere haben, könnten wir es wenigstens damit versuchen«, sagt Robbie, der plötzlich in Wallung gerät, mit allen Grimassen und Verrenkungen, die dieser Zustand bei ihm mit sich bringt. »Mrs. Banister, vielleicht haben Sie in Ihrer Tasche einen kleinen Spiegel, den Sie uns zur Verfügung stellen könnten?«
    Seine hellbraunen Augen funkeln hintergründig, und ich begreife die weibliche Verschlagenheit seiner Frage. Er weiß genau,daß Mrs. Banister einen Spiegel hat und daß sie ihn nie mehr benutzen kann, wenn sie ihn für diesen makabren Zweck zur Verfügung stellt. Er sucht also eine Ablehnung und will damit das Bild seiner Rivalin in Manzonis Augen trüben.
    »Ich habe keinen Spiegel in meiner Tasche«, sagt Mrs. Banister ungerührt. »Es tut mir leid. Ich hätte ihn gerne geopfert.«
    »Und doch haben Sie einen.« Robbie lächelt gedehnt. »Ich habe ihn gesehen.«
    Mrs. Banister richtet ihre Samurai-Augen auf Manzoni und sagt leichthin, ohne Robbie anzusehen: »Sie haben sich geirrt, Robbie. Sie sind wie Narziß: überall sehen Sie Spiegel …«
    Robbies Gesicht verfärbt sich, und Madame Edmonde spürt, daß man ihre Gazelle irgendwie verwundet hat.
    »Soviel Gequake um einen lächerlichen Spiegel!« sagt sie übertrieben vulgär. »Hier, Dicker, nimm meinen.« Sie holt den Spiegel aus ihrer Tasche und gibt ihn Pacaud.
    Pacaud beugt sich über Bouchoix und hält ihm den Spiegel im Abstand von einigen Zentimetern vor die Lippen.
    »Näher ran! Aber ohne die Lippen zu berühren!« sagt Blavatski im Befehlston.
    Pacaud gehorcht. Nach vier, fünf Sekunden fragt er ängstlich wie ein kleiner Junge: »Reicht es so?«
    »Na klar!« sagt Blavatski, die Stimme hebend, als wollte er einen Schüler wegen seiner Begriffsstutzigkeit beschämen.
    Pacaud zieht den Spiegel zurück und tritt an ein Kabinenfenster, denn es dämmert und die Innenbeleuchtung ist noch nicht eingeschaltet. Er betrachtet das kleine Rechteck, das er in der Hand hält.
    »Halten Sie ihn nicht so dicht an Ihr Gesicht«, sagt Blavatski ungeduldig. »Sonst beschlägt er durch Ihren Atem.«
    »Aber ich bin kurzsichtig«, erwidert Pacaud und fährt einen Augenblick später fort: »Ich sehe nichts. Es ist nicht hell genug. Mademoiselle, könnten Sie bitte Licht machen?«
    »Nicht ich bestimme in diesem Flugzeug, ob das Licht angeht oder nicht«, antwortet sie.
    Sie hat kaum zu Ende gesprochen, als Blavatski aufspringt, den rechten Arm ausstreckt und auf die Tür zur Bordküche weist.
    »Sehen Sie!« schreit er.
    Ich drehe mich in meinem Sessel um. Auf den Leuchttafelnzu beiden Seiten der Tür wird die Landung angekündigt. Als wäre er der einzige, der lesen kann, brüllt Blavatski auf französisch:
«Attachez vos ceintures! »
Dann wiederholt er den gleichen Satz in seiner eigenen Sprache, und seine metallische Stimme klingt wie eine

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