Madrapour - Merle, R: Madrapour
Siegesfanfare:
“Fasten your seat belts!”
Er hält sich kerzengerade, Brust geschwellt, Beine gespreizt, den Arm immer noch ausgestreckt. In seinem plumpen Gesicht steht ein triumphierender Ausdruck. Angesichts solcher Verklärung könnte man meinen, daß ihm das Verdienst dieser Rückkehr zum BODEN zukommt, seiner Kraft, seiner Weisheit und seiner
leadership
.
KAPITEL 13
Die Leuchtschrift besagt, daß wir landen, was nicht zwangsläufig bedeutet, daß wir das Flugzeug verlassen werden. Und doch gibt Blavatski ihr mit seinem siegesgewissen Auftreten diese optimistische Deutung, der wir alle uns wie die Hammel anschließen, nach dem fröhlichen Durcheinander zu urteilen, das auf unsere Apathie folgt.
Michou, die
viudas
und Madame Edmonde belagern die Toiletten, und die Herren bringen – bis auf Pacaud, der in seinen Schmerz vergraben bleibt – ihre Kleidung und ihr Handgepäck in Ordnung. Bei Caramans sind das rein symbolische Gesten, denn seine Krawatte hat sich um keinen Zentimeter verschoben, und ich bin überzeugt, daß auch in seinen Akten jedes Stück Papier seinen richtigen Platz hat. Für ihn handelt es sich eher um ein magisches Ritual der Vorbereitung, mit dem er mehr oder weniger bewußt die Landung beschleunigen möchte.
Manzoni gehört zu den Aktivsten bei dieser Putzaktion. Er ist auch der einzige von den Männern, der sich mit aller Sorgfalt in Gegenwart der anderen kämmt. Danach zieht er aus seiner Reisetasche einen kleinen Lappen, bückt sich elegant und säubert seine Schuhe. Weil diese Tätigkeit sein Haar in Unordnung gebracht hat, kämmt er sich hinterher noch einmal.
Im Gegensatz zu seinem Nachbarn rührt Robbie sich überhaupt nicht und beobachtet die Geschäftigkeit des Kreises von oben herab und mit Distanz. Ein- oder zweimal sucht er meinen Blick, um mich als Zeugen seiner ironischen Haltung anzurufen. Als ich aber seine Absicht errate, weiche ich seinem Blick aus.
Ein neues Gefühl hat von mir Besitz ergriffen: ich habe die Hoffnung, mich behandeln lassen zu können. Ich sehe mich bereits in einem Krankenhaus, Objekt zahlreicher Untersuchungen, einer zuversichtlichen Diagnose und einer wirksamen Behandlung. Aber so einfach ist es nicht! Ich habe kaum diesemberuhigenden Gedanken Raum gewährt, als schon der Schweiß unter meinen Achseln zu strömen beginnt. Ich glaube an diesen glücklichen Ausgang nur zur Hälfte. Und möchte doch so gerne daran glauben! Entweder verlasse ich das Flugzeug und werde behandelt, oder der Flug geht weiter, und das wäre in kurzer Zeit das Ende. Ich schließe die Augen, um Bouchoix nicht zu sehen, dessen lebloser Körper so gut veranschaulicht, was die verrinnenden Augenblicke aus mir machen werden. Endlos bin ich zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit hin und her gerissen. Inmitten der Todesängste ist mein Geist wach und klar. Als könnte es mir in dem bißchen Zukunft, das mir bleibt, von Nutzen sein, stelle ich fest, daß ich soeben das wahre Wesen des Zweifels entdeckt habe. Zweifeln bedeutet nicht, wie ich bislang glaubte, sich in der Ungewißheit einzurichten, sondern abwechselnd zwei einander widersprechende Gewißheiten zu nähren.
Außer Pacaud, der mit den Händen vorm Gesicht sein Schluchzen zu ersticken sucht, interessiert sich niemand mehr für Bouchoix. Niemand fragt sich mehr, ob er tot ist oder nicht. Wir haben ihn bereits hinter uns gelassen: ein Pechvogel, dessen Reise früher als die unsere zu Ende gegangen ist. Ausgestreckt liegt er in seinem Sessel, die Decke bis zum Kinn hochgezogen, die Augen halb geschlossen, die Andeutung eines Lächelns auf seinem ausgezehrten Gesicht – aber wir haben ihn schon vergessen. Er ist nur noch ein Gegenstand, den wir im Flugzeug liegenlassen werden, wenn wir aussteigen. Wer war Bouchoix denn überhaupt für uns? Ein magerer Herr, der gern Karten spielte und seinen Schwager verabscheute. Adieu, Bouchoix. Adieu, Sergius, wird es bald heißen. Wir werden sehr wenig an euch denken. Auch uns drängt die Zeit.
Michou kommt von der Toilette zurück, schiebt ihren Arm unter Pacauds Ellenbogen und lehnt mit einer tröstenden, zärtlichen Gebärde, die mich erschüttert, ihren Kopf gegen die Schulter des dicken Mannes. Sie schiebt ihre Locke zur Seite und sieht ihn an, versucht sein Gesicht anzusehen, das er mit den Händen bedeckt. Gleichzeitig redet sie leise auf ihn ein. Oh, was sie sagt, ist wohl nicht sehr kompliziert! Obwohl sie aus einem »guten Milieu« stammt, ist Michou fast eine
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