Magazine of Fantasy and Science Fiction 10 - Wanderer durch Zeit und Raum
geboren.
Wenn sein Name fiel, warfen die beiden sich merkwürdige Blicke zu. Elisabeth mochte vielleicht sogar ein wenig lächeln, aber alles, was sie auf meine vorsichtigen Fragen antwortete, war etwa:
»Oreste ...? Wir haben lange nichts mehr von ihm gehört.«
Damals wußte ich nicht, daß er sogar in Natchez weilte, nicht weit von uns entfernt.
Er war Schriftsteller, erfuhr ich aus anderer Quelle, aber das war auch alles. Was er schrieb, wo er veröffentlichte – niemand wußte es. Als ich William eines Tages danach fragte, warf er seiner Frau einen Blick über die Ränder seiner Brille zu und sagte dann zu mir:
»Wir sind uns nicht ganz sicher, ob es Oreste recht wäre, wenn wir zu diesem Zeitpunkt über seine Arbeit sprächen.«
Das genügte mir. Ich stellte keine weiteren Fragen mehr zu diesem Thema.
Später, als ich mein Geschäft aufgegeben hatte, zog ich weiter nach Norden und ließ mich in einem kleinen Ort im Gebirge nieder. Hier konnte ich in Ruhe und Abgeschlossenheit meinen Studien nachgehen. Nach knapp acht Jahren kamen William und Elisabeth nach, um ebenfalls hier zu wohnen. Sie mieteten ein ganzes Haus in den Bergen und brachten vier volle Möbelwagen und ihre Diener mit. Das alles geschah ohne großes Aufsehen, und als ich sie zwei oder drei Tage nach dem Einzug besuchte, war alles wie in alten Zeiten. Ein Diener führte mich in das verdunkelte Wohnzimmer, wo sie beide in ihren Sesseln saßen und sich leise unterhielten. Elisabeth bekam ihren Handkuß, und ich meinen gewohnten Drink.
Die Kinder waren größer geworden, und ich bekam nun mehr von ihnen zu sehen. Ich mochte sie gern, denn ich hatte keine eigenen. Valerian war zehn Jahre alt und nie in die Schule gegangen. Elisabeth hatte ihn unterrichtet. Er hatte auch nie mit anderen Kindern gespielt. Auf mich machte er einen wohlerzogenen und äußerst intelligenten Eindruck; ich unterhielt mich gern mit ihm, und er kam fast täglich, um mich in meinem Heim zu besuchen.
Titus, etwas über acht, war ganz anders. Er war gern für sich allein, sprach nicht viel und verriet einen unabhängigen Charakter. Die Kinder aßen stets mit am Tisch der Eltern, auch wenn Besuch da war. So hatte ich Gelegenheit, Titus beim Essen zu beobachten. Er verstieß oft gegen die Regeln, hatte seinen eigenen Willen und war schwer zu bändigen. Er schien zu wissen, daß er sich das erlauben konnte, denn sein Vater scheute sich, in Anwesenheit eines Besuchers eine Szene zu machen.
Zu meinem Erstaunen vernahm ich, daß er bereits Musikstücke komponiert hatte. William zeigte mir eines Abends ganz stolz einige Manuskriptseiten. Schon auf den ersten Blick kam mir die Notenfolge bekannt vor. Ich sah genauer hin, und dann konnte kein Zweifel mehr daran bestehen, daß ich eine längere Passage von Mahlers sechster Symphonie vor mir hatte. Gleichzeitig war ich sicher, daß Titus noch nie in seinem Leben diese Symphonie gehört oder die Partitur gesehen haben konnte.
»Ganz außergewöhnlich«, sagte ich und reichte die Blätter zurück. »Sie haben es auch erkannt?«
»Mahler, ja.«
»Und wie erklären Sie sich das?«
»Überhaupt nicht, es sei denn, Titus ist ein Genie.«
Einige Tage nach diesem Vorfall besuchte mich Titus in meinem Haus, und ich fragte ihn, ob er mir etwas vorspielen wolle. Er sah mich eine Weile forschend an, dann nickte er, setzte sich an das Klavier und spielte nicht gerade vollkommen einige einfache Kinderlieder, wie sie jedes Kind in seinem Alter auch hätte spielen können. Dann glitt er vom Stuhl, verbeugte sich linkisch und rannte in die Küche, um sich von meinem Koch ein Stück Kuchen geben zu lassen.
Ich fürchte er hatte Verdacht geschöpft. Er mußte angenommen haben, daß ich ihm sein schlechtes Spiel nicht glaubte. Eine Woche später nämlich, als wir im Garten standen und einige Eidechsen beobachteten, die sich auf den Steinen sonnten, sagte er zu mir:
»Ich kann wirklich nicht gut Klavier spielen.«
Ich sah ihn erstaunt an. Er wurde rot und blickte in eine andere Richtung. Erst wollte ich die Symphonie von Mahler erwähnen, aber dann hielt ich es für besser, nichts davon zu sagen. Vielleicht war es auch William nicht recht, wenn ich Titus wissen ließ, daß ich von seinen Kompositionsversuchen wußte.
»Ich komponiere«, sagte er plötzlich, als habe er meine Gedanken erraten, »aber das ist etwas ganz anderes.«
»Viele Komponisten sind schlechte Musiker«, tröstete ich ihn.
»Habe ich so schlecht Klavier gespielt?«
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