Magical Village 1 Zimt und Zauber
schiefgeht. Wir dürfen den Neuen an seinem ersten Tag nicht gleich allzu sehr verschrecken.«
Doll nickte. Der neue Zahnarzt Dr. Earnshaw sollte den alten Dr. Wiseman ersetzen, der glücklicherweise freiwillig in den Ruhestand gegangen war, ehe seine private Neigung zu Novocain noch strafrechtliche Ermittlungen nach sich ziehen konnte. Sie, Tammy und Viv vom Empfang hofften darauf, dass sich der neue Zahnarzt als wandelndes Sexsymbol entpuppte. Das würde, so hatten sie sich während mancher Teepause gegenseitig versichert, ihren Arbeitsalltag doch um einiges unterhaltsamer gestalten.
Dummerweise war Viv an dem Tag, als sich Joel Earnshaw in der Praxis vorgestellt hatte, gerade zu Mittag essen gewesen, und Doll war nach Winterbrook gefahren, um beim Zahntechniker ein Gebiss zu reklamieren. Angeblich war es für Miss Fenwick maßgefertigt gewesen, hatte jedoch beim
Einsetzen ausgesehen, als sei die Gute eine Komparsin aus Die Nacht der lebenden Toten.
Tammy, auf deren Fazit über den Neuen sich die anderen stützen mussten, hatte lediglich die Stupsnase gerümpft. »Uralt!«, hatte sie schneidend geurteilt. »Ein Fossil! Fast so alt wie Dr. J und Dr. W!«
»So alt kann er gar nicht sein«, hatte Doll stirnrunzelnd eingewandt. »Er kommt doch frisch vom College.«
»Ja, aber erst nach einem Berufswechsel in der Lebensmitte«, hatte Tammy erwidert. »Früher war er Maurer.«
Dr. Johnson lehnte sich aus dem Seitenfenster seines Sportwagens. »Dann guten Appetit beim Abendessen. Und vergessen Sie nicht, hinterher Zahnseide zu benutzen. Tschüssi!«
Doll sah dem Sportwagen nach, bis er in der Dunkelheit von Hazy Hassocks verschwand. Dr. Johnson tauschte seine klassischen Sportwagen regelmäßig gegen neuere Modelle aus. Während sie mit der Tür ihres alten Polos kämpfte, sann sie wie so oft darüber nach, was für ein Riesenunterschied bestand zwischen dem zusammengelegten Einkommen eines Zahnarzts und einer Anwältin, wie die derzeitige Mrs Johnson eine war, und demjenigen einer Zahnarzthelferin und eines Briefträgers.
Nicht dass sie materialistisch wäre, sagte sie sich, als sie von der Praxis davontuckerte. Gut, sie hatte ein paar materielle Bedürfnisse mehr als Lulu – jeder Mensch hatte mehr materielle Bedürfnisse als Lulu -, doch nichts, was über das Normale hinausginge … ein schöner Urlaub … eine Hochzeit und ein Baby.
Der Bungalow war unbeleuchtet, als sie davor hielt. Seufzend schloss Doll die Tür auf und trat in die kalte Finsternis. Brett hatte mal wieder nicht daran gedacht, die Zeitschaltuhr
an der Zentralheizung zu reparieren. Bestimmt lag er bei geschlossener Wohnzimmertür schlafend vor dem voll aufgedrehten elektrischen Kaminfeuer und ließ den Rest des Hauses in Kälte erstarren.
Wie sie erwartet hatte, herrschte im Wohnzimmer eine Bullenhitze. Der Fernseher plärrte im Dunkeln vor sich hin, während Bretts Schnarchen das hysterische Gekreische irgendwelcher Comicfiguren übertönte. Doll stellte den Fernseher aus, machte Licht und sah sich verdrossen um.
Brett bevorzugte in seinem Wohnumfeld gedeckte Töne, genau wie Dolls Vater Lance. Der Bungalow war sauber und ordentlich und bewies einen eklatanten Mangel an Fantasie. Natürlich würde sie sich in puncto Farbe niemals so weit aus dem Fenster lehnen wie ihre Mutter, doch ein paar Verschönerungen, ein bisschen Gemütlichkeit – Bilder, Kissen, Pflanzen – könnte doch gewiss nicht schaden, oder? Brett hielt solchen Firlefanz leider für Weiberkram. Er wurde schnell missmutig und dogmatisch, wenn Doll Veränderungsvorschläge machte, und mittlerweile war ihr die Kraft dafür ausgegangen. Im zarten Alter von dreißig Jahren war Brett bereits ein bisschen zum Dinosaurier geworden.
Er schnarchte und bewegte sich in seinem Sessel, während Doll ihn betrachtete – nicht mit Leidenschaft, sondern mit einer fast mütterlichen Zuneigung. Er war relativ groß, relativ schlank und relativ blond. Nicht hässlich, nicht hübsch und nicht besonders herausragend. Er arbeitete fleißig, war durch nichts aus der Ruhe zu bringen und gehörte einfach zu Dolls Leben.
Sie kannten sich, seit sie fünfzehn waren. Keiner von beiden war je mit einem anderen Partner zusammen gewesen. Sie hatten eine gemeinsame Geschichte und kamen passabel
miteinander aus. Der Funke, falls es je einen gegeben hatte, war schon vor Jahren erloschen, doch sie konnte sich ein Leben ohne ihn nach wie vor nicht vorstellen. Eigentlich traurig, dass sie vermutlich mehr aus
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