Magical
»Danke. Ich habe herausgefunden, was ich wissen musste.«
Sie lächelte. »Das passiert selten.«
˜ ˜ ˜
Warner liebte mich. Mich, nicht Lisette. Und darüber hinaus war Lisette neidisch auf mich, weil ich klug war. Sie verabscheute mich also nicht einfach nur so.
Das Ganze fühlte sich dermaßen toll an, dass ich fast nett zu ihr sein wollte. Fast.
Aber Warner wollte ich nicht nur fast zurück.
Wann immer ich keine Lösung für ein Problem finde, schlafe ich eine Nacht darüber. Man sagt, dass das Unterbewusstsein auch das komplexeste Spinnennetz aufdröseln kann. Wenn ich also Ärger mit einem Lerngruppenmitglied hatte, das seinen Beitrag nicht leisten wollte, oder wenn Courtney in der Schule auf mir herumgehackt hatte, ging ich einfach schlafen und hoffte auf eine Antwort.
An diesem Abend tat ich das auch, wegen Lisette.
Ich wachte auf, als Ralf in seinem Hamsterrad rannte. Ich berührte mit der Hand die Seite des Käfigs, weil ich das Geräusch stoppen wollte. Ralf rannte weiter. Das surrende Geräusch wurde zu einem Lied in meinem Kopf.
Cinderelly, Cinderelly!
Ein Lied aus einem Film, den ich als Kind mal gesehen hatte.
Und plötzlich wusste ich, was ich tun musste.
Ich rief Kendra an und vereinbarte mit ihr ein Treffen im Park.
Sie kam nach mir, deshalb setzte ich mich hin und sah den Kindern beim Spielen zu und den Eichhörnchen. Den Vögeln.
Plötzlich war sie da.
Allmählich wurde mir klar, wie ahnungslos ich gewesen war, weil ich nicht bemerkt hatte, dass sie eine Hexe war.
Ich sagte: »Du hast doch Aschenputtel gelesen, oder?« Es war eine dumme Frage, okay, aber bei Kendra konnte es passieren, dass man total normale Dinge wie Aschenputtel oder Reality-Shows erwähnte und dann feststellen musste, dass sie dachte, das wäre etwas, was arrangierte Ehen oder Fußfetischismus unterstützte. Sie war noch nie bei McDonald’s und zu Hotdogs sagte sie Frankfurter. Sie hat sich nicht ein einziges Mal die Simpsons angeschaut. Das gehört wohl dazu, wenn man eine Hexe ist.
Aber sie sagte: » Aschenputtel gelesen? Ich kannte die Brüder Grimm persönlich … Ich meine, natürlich kenne ich Aschenputtel. Wer kennt es nicht? Sie haben sogar einen Film daraus gemacht.«
»Ja, und davor war es ein Märchen, das von einem Mädchen und ihrer Stiefmutter und ihren Stiefschwestern handelt, die einander nicht leiden können.«
»Ich bin im Bilde. Außer dass ich dachte, es wären hässliche Stiefschwestern und eine böse Stiefmutter gewesen.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Vielleicht waren sie das, vielleicht auch nicht. Manchmal sehen die Menscheneine Geschichte unterschiedlich.« Nach Jahren mit Lisette wusste ich nicht mehr, was ich glauben sollte, nicht einmal mehr in Bezug auf Märchen. Vielleicht war Aschenputtel die Böse in der Geschichte, und ihre Stiefschwestern waren einfach nur sonderbare Mädchen, die einen Freund haben wollten. Wie politisch korrekt war es überhaupt, die Schurken hässlich zu machen? Und wie realistisch? Meiner Erfahrung nach waren es normalerweise die hübschen Leute, die gemein zu den hässlichen waren, und nicht umgekehrt.
Hässliche Menschen bräuchten wahrscheinlich eine Gruppe, die ihre Darstellung in Büchern und Filmen schützte. Nur dass eigentlich keiner zugeben würde, hässlich zu sein, nicht einmal vor sich selbst.
Ich sagte: »Die Sache ist – in der Geschichte ist niemand glücklich. Aschenputtel will eine Chance, die Stiefschwestern auch. Deshalb geht Aschenputtel auf den Ball, lernt den Prinzen kennen und zieht aus. Und so leben alle glücklich bis ans Ende ihrer Tage. Getrennt voneinander, jeder dort, wo er hingehört.«
Auch wenn das nicht genau so in der Geschichte steht. Manche Versionen besagen, dass Aschenputtel ihren Stiefschwestern vergibt. Andere sagen, sie hätte sie in einem Kessel gekocht. In den meisten von ihnen wollen die Stiefschwestern den Prinzen heiraten. Aber in Anbetracht der vielen Versionen, die es von dieser Geschichte gibt, sind vermutlich alle ein wenig ungenau.
»Wenn du das sagst«, erwiderte Kendra.
»Ja. Genau darum geht es mir hier. Ich will nicht, dassLisette unglücklich ist. Sie hatte es schwer. Aber ich will, dass sie fortgeht.«
Kendra nickte. »Und wie willst du das erreichen?«
»Genau wie in Aschenputtel. Lisette muss auf den Ball gehen.«
˜ ˜ ˜
In der folgenden Woche stritt ich mit meiner Mutter darum, dass sie mir erlaubte, in die Schule zu gehen. Die restliche Zeit versuchte ich zu lernen,
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