Magie der Schatten: Roman (German Edition)
einkehrt? Du freust dich, dass es jemanden gibt, der dir Halt geben möchte. Ob er nun wirklich ein Auserwählter des längst toten Gottes ist, danach fragst du nicht.«
»Ja, und eigentlich ist es dann auch egal«, sagte Nairod, während er sich durch das Schneegestöber zum Turm vorkämpfte.
»So ist es. Und dann gibt es noch einige wahnsinnige echte Priester, die sich damals nicht das Leben genommen haben. Sie müssen uralt sein, und ich habe von ihnen auch nur durch Hörensagen erfahren. Das sind vielleicht auch nur Ammenmärchen. Wer weiß, es liegt vieles im Dunkeln. Auch dass noch immer neue Magier geboren werden, lässt sich mit dem Tod des Gottes, der ihnen die Kraft der Magie verleiht, schwer vereinbaren. Aber viele glauben auch, dass die Magie eine gänzlich freie, unabhängige Macht ist, die nur fälschlicherweise mit dem Ewigen verbunden wurde … Ach, ich rede zu viel.«
»Nein, nein. Ich habe ja darum gebeten. Lass uns nach oben gehen, dort muss es eine gute Aussicht geben.«
Im Innern des Turms führte eine steinerne Treppe an der Wand entlang. Durch Löcher im Mauerwerk blies eisiger Wind hinein, und der Boden war frei von Schnee, dafür übersät mit Steinsplittern. Immer wieder fehlten einige Stufen und taten sich schmale Abgründe auf.
Nairod begann den Aufstieg dennoch, über die Lücken sprang er einfach hinüber. Schnee wehte ihm durch die Löcher in der Wand entgegen, und er konnte zusehen, wie er sich vom Boden entfernte. Bei einer besonders weiten Kluft kurz vor der Turmspitze griff er beim Hinübersteigen sicherheitshalber in die moosigen Spalten des Mauerwerks. Schließlich trat er durch ein Loch in der Turmdecke mit abgerissener Luke ins Freie.
Das endlose Weiß um ihn herum blendete ihn, die Turmspitze schien mit dem Himmel zu verschmelzen. Der Wind wehte hier noch erbarmungsloser. Schutz vor ihm boten lediglich abgebrochene Zinnen.
Sax hielt sich an seinem Kragen fest. »Ich wollte mit dir sprechen … Gut, dass wir hier allein sind.«
»So?« Nairod stapfte zu den Zinnen und schob den Schnee herunter, um die Arme darauflegen zu können. Knapp zwanzig Meter lag die Ruinenstadt jetzt unter ihnen. Eine weiße Fläche, wie Milch in einer endlosen, flachen Form, aus der die steinernen Ruinen als dunkle Flecken herausragten.
»Es ist gut, dass deine Freundin nicht dabei ist.«
»Sie ist doch fast nie wirklich dabei. Ich meine, sie läuft tagsüber neben mir, aber ich glaube, das zählt nicht wirklich.« Nairod suchte nach der Ruine am Stadtrand, in der Lenia das Lager aufschlagen wollte, aber von hier oben ähnelten sich die steinernen Überreste zu sehr.
»Ja, nicht wahr? Es scheint, als hätte sie sich von dir entfernt.«
»Unsinn.« Nairod presste seine Hand auf den kalten Stein der Zinne. Eine dünne Eisfläche brannte auf seiner Haut. »Sie ist seit dem ersten Reisetag bei mir. Entfernen ist wohl etwas anderes.«
»Hast du nicht eben so etwas selbst gesagt? Es sollte dir zu denken geben, dass sie noch immer mit dir reist, aber kaum noch ein Wort mit dir wechselt.«
Nairod schnaubte. Er packte den Erl mit der Hand wie eine hölzerne Spielzeugfigur und stellte ihn vor sich auf die Zinne. »Auf so einer langen Reise gibt es eben irgendwann nichts mehr zu erzählen.«
Der Wicht stand mit nackten Fußsohlen auf dem Eis. Er machte einige Schritte, als stünde er auf gewöhnlichem Erdboden. Die Kälte schien ihn gar nicht zu erreichen. »Damit beruhigst du dich?«
»Ich muss mich nicht beruhigen! Was willst du?«
»Dich warnen. Ich sehe euch beiden jetzt schon lange genug zu. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass sie dir ohne Grund folgt. Menschen haben für all ihr Tun einen Grund, so viel immerhin habe ich gelernt. Und du weißt längst, dass sie dich von all dem fernhalten will, was du erreichen möchtest. Dennoch unternimmt sie nichts.« Der kleine Mann legte in einer nachdenklichen Geste eine Hand ans Kinn. »Zu welchem Schluss bringt dich das?«
»Keine Ahnung. Ich muss eines der wahrscheinlich größten Rätsel der Menschheit entschlüsseln, da habe ich keine Zeit, über solche Lappalien nachzudenken.«
»Aber das ist keine Lappalie. All deine Bemühungen werden umsonst gewesen sein, wenn dir Lenia am Ende alles ruiniert.«
Nairod starrte den Zwerg durch den fallenden Schnee hindurch an und sagte nichts.
»Ja. Sie wartet nur. Sie ist nicht dumm. Dass sie dir Eikyuuno nicht ausreden kann, das hat sie schon gemerkt. Sie kann dich ganz sicher nicht von deinem Plan
Weitere Kostenlose Bücher