Magnus Jonson 02 - Wut

Titel: Magnus Jonson 02 - Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ridpath

Vom Netzwerk:

einzuwenden.«
    Vigdís verdrehte die Augen. Es gab einen ähnlichen berühmten
Satz über Island von Ringo Starr, als er gerade am Flughafen Reykjavík aus seiner Maschine gestiegen war und von einem übereifrigen Reporter genau diese Frage gestellt bekam.
    Dieser Journalist hätte Árni sein können.
    »Ich glaube, wir haben nicht genug Zeit, um Ihnen einen Baum zu suchen«, sagte Árni. »Tut mir leid.«
    »Sehen wir uns die Namensliste an!«, schlug Magnus vor.
    Mehrere Stunden beschäftigten sie sich damit. Magnus’ Kollegen bekleckerten sich dabei nicht gerade mit Ruhm. Er selbst kannte kaum einen der Namen. Árni äußerte fortwährend kühne Behauptungen und wilde Vermutungen, die sich sämtlich als falsch erwiesen. Und Vigdís, die mit den Unterlagen vertraut war und die meisten Personen zu kennen schien, bestand darauf, sich alles ins Isländische übersetzen zu lassen.
    Magnus hatte sie auf ihr Englisch angesprochen; er wollte immer noch nicht glauben, dass sie nur Isländisch sprach, aber sie hatte lediglich geantwortet: »Jeg taler dansk . «
    Abgesehen davon, dass Óskar die wichtigsten Personen aus Islands Geschäftswelt kannte – was nicht gerade eine Überraschung war –, sprang ihnen nichts ins Auge. Piper war sichtlich enttäuscht.
    »Wir nehmen die Liste mit zum Sonderstaatsanwalt«, verkündete Magnus. »Vielleicht fällt dem ja was dazu ein.«

    Der Sonderstaatsanwalt für Finanzkriminalität hatte sein Büro um die Ecke vom Polizeipräsidium. Er war ein korpulenter Mann von Mitte vierzig mit einem frischen Gesicht, der eine gewisse Gediegenheit ausstrahlte. Magnus hatte schon von ihm gelesen. Er war der ehemalige Polizeichef einer Kleinstadt außerhalb von Reykjavík. Keiner der naheliegenden Kandidaten unter den vielen Anwälten der Hauptstadt hatte diese Aufgabe übernehmen können, da alle mit den Verdächtigen entweder verheiratet oder über drei Ecken verwandt waren. Die Regierung hatte sich anderweitig umsehen müssen, um den Posten zu besetzen. Der Mann, auf den
die Wahl fiel, hatte keinerlei Erfahrung mit internationaler Wirtschaftskriminalität, genoss jedoch einen guten Ruf aufgrund seiner Gründlichkeit und Integrität.
    Er las in einer Akte auf seinem Schreibtisch. Vor und hinter ihm türmten sich weitere Papierberge. Elektrische Kabel verliefen zwischen Aktensammlungen auf dem Boden zu einem Durcheinander von elektronischen Geräten. Das Büro vermittelte den Eindruck zielloser Geschäftigkeit.
    Sie unterhielten sich auf Englisch.
    »Können Sie uns etwas über Ihre Ermittlungen bezüglich Óskar Gunnarsson sagen?«, begann Magnus.
    »Sicher«, sagte der Staatsanwalt. »Wir haben unser Interesse noch nicht auf ihn speziell gerichtet, aber wir sehen uns die Ódinsbanki genau an, so wie alle anderen Banken auch.«
    »Betrug?«, fragte Magnus. »Geldwäsche?«
    »Leider nichts derart Offensichtliches. Eher Manipulation des Marktes: Kredite für nahestehende Firmen und Personen, die damit Anteile der Bank erwerben konnten.«
    »Ist das verboten?«, fragte Piper.
    Der Staatsanwalt zuckte mit den Schultern. »Das ist die große Frage. Es ist sicherlich nicht richtig, und in vielen Ländern wäre es auf jeden Fall gegen das Gesetz. Aber Island hat keine besonderen Sicherheiten in der Gesetzgebung. Zum Teil hängt es davon ab, wie viele dieser Transaktionen öffentlich aufgedeckt wurden.«
    Der Staatsanwalt nahm einen Stift und trommelte damit auf den Schreibtisch. »Die Frage ist auch, warum die isländischen Banken so schnell so groß werden konnten. Eine Investmentgesellschaft nahm einen Kredit auf, um in eine andere zu investieren, die sich noch mehr Geld für eine dritte lieh, die wiederum Geld aufnahm, um in die Banken zu investieren, die ihnen die nötigen Mittel überhaupt erst beschafften. Ehe man sich’s versieht, werden aus hundert Millionen Kronen ruck, zuck zehn Milliarden.«
    »Klingt kompliziert«, bemerkte Piper.
    »Ist es auch. Besonders, wenn das alles über ein Netz von Holdinggesellschaften
auf den Jungferninseln abgewickelt wird. Wir werden Jahre brauchen, um das alles aufzudröseln.«
    »Jahre? Es war also nicht so, dass eine Ermittlung gegen Óskar Gunnarsson unmittelbar bevorstand?«, fragte Piper.
    »Nein. Noch lange nicht. Vielleicht irgendwann mal. Wir lassen uns nicht hetzen. Auch wenn die Öffentlichkeit Blut sehen will – wenn es zu einer Anklage kommt, muss sie Hand und Fuß haben.«
    Der Sonderstaatsanwalt trug einen dunklen Anzug, doch es wirkte, als