Magnus Jonson 02 - Wut
und Patronenhülsen werfen würde, und dann noch einmal zwanzig Kilometer bis zur Autobahn und der langen Rückfahrt nach Amsterdam.
Durch das Fernglas sah er, dass sich im Haus etwas bewegte. Er spannte den Körper an. Die Zielperson kam heraus. Er legte das Fernglas beiseite und drückte das Gewehr an seine Schulter. Die Zielperson trug ein schmales kariertes Hemd und hatte einen Becher in der Hand. Mit Sicherheit Tee – stilecht englisch. Sie ging
zum Stuhl und beugte sich vor, um den Becher abzustellen. Richtete sich wieder auf. Betrachtete die Landschaft.
Er drückte ab. Mehrere Dinge passierten gleichzeitig. Das Fenster hinter der Zielperson zerbarst. Der Knall zerriss die ländliche Stille. Saatkrähen hinter dem Wäldchen flogen empört kreischend auf.
Die Zielperson drehte sich zum Fenster und schaute dann mit offenem Mund zum Wald. Die Überraschung verlangsamte ihre Bewegungen.
Er hatte sie verfehlt. Ruhig bleiben! Er schoss erneut. Diesmal machte das Opfer einen Schritt nach hinten und fasste sich an den Oberarm. Ein kurzer spitzer Schmerzensschrei. Noch ein Schuss. Die Zielperson sackte zu Boden, und eine Frau kam schreiend aus dem Haus gelaufen.
Zeit zu gehen.
20
Frikki saß hinten in der Kirche. Vorne salbaderte der Pfarrer. Magda hatte ihn gezwungen, mit ihr in die große katholische Betonkathedrale auf dem Hügel auf der anderen Seite des Stadtzentrums zu gehen, gegenüber der Hallgrímskirkja. Sie saß neben ihm und bemühte sich, der Predigt zu folgen. Frikki hatte schon nach dem ersten Satz aufgegeben.
Sie hatte gewollt, dass er um Vergebung betete. Frikki wusste nicht, wie er das tun sollte. Er schloss die Augen. »Vergib mir, Gott«, murmelte er vor sich hin. Reichte das schon? Er war sich nicht sicher. »Vergib mir, Gott«, wiederholte er. Warum sollte Gott ihm vergeben, einem arbeitslosen Verlierer, der klaute und nie in die Kirche ging? Der jemanden umgebracht hatte.
Das einzig Gute in Frikkis Leben war Magda. Wenn Gott auch nur ein bisschen Verstand hätte, würde er nicht Frikki retten, sondern Magda vor Frikki.
Wieder schloss er die Augen. »Bitte, lieber Gott, nimm mir Magda nicht weg.«
Frikki hatte geglaubt, er würde sich langweilen, doch das tat er nicht. Die Kirche mit ihren glatten blauen Säulen war ein friedliches Gebäude. Auch wenn er sich nicht als Teil der Gemeinschaft frommer Kirchgänger fühlte, die zum Großteil aus Ausländern bestand, verliehen die Betenden dem Ort doch eine gewisse Ruhe. Niemand starrte Frikki an, obwohl seiner Meinung nach alle genau wussten, dass er der einzige Protestant in dieser katholischen Kirche war.
Ein bisschen konnte er verstehen, warum Magda gern jede Woche an so einen Ort ging. Er sah ein, warum die Religion gut für sie war. Aber nicht für ihn.
Er glaubte nicht wirklich an Gott. Und er war sich ziemlich sicher, dass Gott, falls es ihn doch gab, nicht an Frikki glaubte.
Hatte er diesen Banker getötet? Es war nicht mehr festzustellen, ob der Mann schon tot war, als Frikki ihn getreten hatte. Manchmal redete er sich ein, dass das Opfer schon tot gewesen sein musste. Dann wieder, so wie jetzt, war Frikki ziemlich vom Gegenteil überzeugt.
Das Schlimmste war, dass Frikki in jenen wenigen Augenblicken damals im Januar den Mann wirklich hatte umbringen wollen.
Diese wenigen Sekunden würden ihn den Rest seines Lebens verfolgen. Er würde immer ein Mörder sein, selbst als alter Mann. Und jetzt wusste es auch Magda.
Doch sie wusste es nicht nur, sie verstand es auch. Sie sagte, sie würde ihm vergeben, und auch Gott würde ihm verzeihen.
Die Gemeinde stand auf und ging hoch zum Priester, um sich vor ihn zu knien und Brot und Wein zu empfangen. Der Chor sang. Magda machte einen Knicks, schlug ein Kreuzzeichen und stellte sich an. Nie im Leben würde Frikki so etwas tun.
Plötzlich wurde es ihm klar. Damit Magda ihm wahrhaft vergeben konnte, musste sie glauben, dass auch Gott es tun würde.
Frikki kniete sich hin und begann zu beten.
Zurück in Reykjavík, setzte Magnus Ingileif bei ihrer Wohnung ab und fuhr zu seinem eigenen Haus auf der Njálsgata. Er schenkte sich ein Bier ein und ließ sich in den Sessel sinken.
Seinen Großvater nach so vielen Jahren wiederzusehen, hatte ihn erschüttert. Er wusste, dass es falsch war, es an Ingileif auszulassen, aber sie hätte merken müssen, dass ein wenig Zurückhaltung angeraten war.
Er trank sein Bier und versuchte, das alles zu verstehen. Die Affäre seines Vaters mit Unnur.
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