Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition)
Ticket in der Hand, und alle anderen, die auf ihre Fahrt warteten, wurden von der Plattform vertrieben. Wie ihr Bruder zuvor wusste sie sofort, mit welcher Art von Gewalt sie es zu tun hatte. Wie ihr Bruder zuvor am Bahnsteig fühlte sie sich von Gespenstern aus der Vergangenheit umzingelt. Einige von diesen Typen hatten sie einst wie eine Prinzessin behandelt und ihr überallhin Geleitschutz gegeben. Als sie zehn Jahre alt war, hätten sie ihr jeden Stern vom Himmel geholt – und Mond und Sonne noch dazu. Und jetzt sabotierten dieselben Typen ihren Selbstmord? Musste sie für alle Zeiten in dieser weltlichen Hölle schmoren? Machte Gott mit diesen Typen gemeinsame Sache, um seine Unnachgiebigkeit zu demonstrieren?
Matt wartete darauf, dass das Riesenrad sich zu drehen begann. Dann sollte sein Dolmetscher übernehmen. Der griff nach dem Mikro. Seine Stimme war über Lautsprecher auf dem ganzen Platz zu hören. Kein Einwohner von Cholong, so verkündete er, habe irgendetwas zu befürchten, solange die Aktionen der Amerikaner – er wusste nicht recht, wie er sie nennen sollte, also sprach er von einer »Delegation« – von niemandem behindert würden. Zudem werde eine Belohnung von zweihunderttausend Euro in bar ausgesetzt für den, der zur Ergreifung des amerikanischen Schriftstellers Frederick Blake, tot oder lebendig, beitragen konnte. Während der Durchsage verteilten Chi-Chi und Guy Kopien des berühmten Artikels über den Manzoni-Prozess aus der Times. Matt wies den Dolmetscher an, mit dem kleinen Lieferwagen des Früchteverkäufers durch die ganze Stadt zu fahren, um überall die gleiche Durchsage zu machen.
Einige Bürger von Cholong wagten sich dennoch nach vorne und verlangten Erklärungen für den »Belagerungszustand«. Matt bat Hector und Greg, den Leuten zu zeigen, dass sie es ernst meinten. Die beiden hielten ihre MP 5-9-mm gen Himmel und empfahlen allen, sich möglichst schnell aus dem Staub zu machen. Zuerst ballerten sie auf den Stand der Kunsthandwerker. Vasen und Töpfe aus Terrakotta, Skulpturen aus Lehm und Lampenschirme aus Glas flogen durch die Luft und zerbrachen in tausend Stücke. Seelandschaften und Porträts wurden unter den hilflosen Blicken der Künstler voll und ganz durchlöchert. Der Stand des Wohltätigkeitsvereins, für den Maggie verantwortlich war, zerfiel zu Staub. Menschen rasten in wilder Panik über den Platz, die Fahrgeschäfte wurden angehalten, und man schaltete die Musik ab. Dafür wollten die Schreckensschreie lange Zeit nicht verstummen. Irgendwann aber hörte man nur noch das metallische Knirschen der Gondeln. Das Riesenrad drehte sich weiter und weiter.
*
Selbst zu Zeiten, als sich die Gangs aufs Bitterste bekämpft hatten, war Giovanni Manzoni nicht ein solches Unrecht widerfahren.
Sein Werk war vernichtet, bevor es überhaupt fertig war. Sein Buch war eine Totgeburt.
All die vielen Arbeitsstunden, das Nachdenken über jedes Verb, ja jedes Komma. All seine Liebe, all seine Fähigkeiten, die Frucht seiner Eingeweide, der Spiegel seiner Seele, der Gesang seines Herzens. Sein ganzes Leben hatte er dem Leser schenken wollen, ohne dabei etwas zu verbergen. Und jetzt? Jetzt war das alles binnen weniger Sekunden zu Staub zerfallen.
Das war schlimmer, als dem Tod ins Auge zu sehen. Fred hatte das Gefühl, überhaupt nicht existiert zu haben.
Als seine Frau ihn verriet, dachte er, am Tiefpunkt angelangt zu sein. Jetzt aber wusste er, dass jeder Schmerz relativ war. Wer glaubt, alles verloren zu haben, bemerkt bald, dass es immer noch mehr zu verlieren gibt. Fred hatte zunächst seine Zukunft verloren und jetzt, kurz darauf, auch noch seine Vergangenheit.
Die Kräfte verließen ihn, eine seltsame Halluzination ergriff von ihm Besitz.
Eine Schar Zombies jeglichen Alters zog durch das Zimmer. Ihre Gehirne waren aufgebrochen, ihre Körper durchlöchert, ihre Augen standen seltsam hervor. Es war die große Parade der Opfer Giovanni Manzonis und seiner Bande. Sie beugten sich hinunter zu Fred, der niedergeschlagen auf dem Boden lag, und gaben ihm einen kleinen Klaps auf die Schulter. Das war der göttliche Augenblick ihrer Rache, und sie genossen ihn. Viele Jahre hatten sie in der Vorhölle schweigend auf diesen Augenblick gewartet. Jetzt waren sie da, um ihm zu sagen, dass die Ordnung des Universums, die er umgeworfen hatte, am heutigen Tag wiederhergestellt werden würde.
Quintiliani, der nicht allzu viel von Vergeltung hielt, brachte es nicht übers Herz, Fred zu
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