Malory
war eine herzliche Frau mittleren Alters, klein und drall. Beim Kochen sang sie gern, am liebsten aus voller Kehle.
Als Mrs Robertson ihr gestern Danny als das neue Stubenmädchen vorgestellt hatte, war sie in Gelächter aus-gebrochen, das beinahe zehn Minuten anhielt. Immer wieder begann sie von neuem zu lachen, jedes Mal, wenn sie Danny ansah. Es lag an ihren Kleidern – zumindest hoffte Danny, dass sich die Köchin nur darüber amü-
sierte. Wahrscheinlich hatte sie noch nie eine Frau in Hosen gesehen.
Ihre Küchenhilfe, Claire, das brummige Mädchen, das Danny am Vortag ins Haus gelassen hatte, war nun ebenfalls in der Küche. Als Danny hereinkam, hatte Claire nichts Eiligeres zu tun, als ihr unter die Nase zu reiben:
»Du bist zu spät.«
»Ich weiß. Tut mir Leid.«
»Das Essen ist kalt geworden.«
Das klang so, als wäre es Dannys Schuld. Claire war wirklich ein Sauertopf: pummelig, mit hängenden Schultern und scheinbar permanent gerunzelter Stirn – zumindest hatte Danny an ihr noch keinen anderen Gesichtsausdruck gesehen. Vielleicht wirkte es aber auch nur so, weil die fröhliche Köchin in so krassem Gegensatz dazu stand.
»Hab jetzt eh keine Zeit zu essen«, stellte Danny mit einem wehmütigen Seufzer fest, als sie die große Auswahl zubereiteter Speisen anstarrte. Sie hatte Hunger.
»Warum nicht?«, fragte Claire. »Was hast du denn vor? Du bist doch nur zum Essen zu spät.«
»Oh. Aber bin ich nicht auch zu spät zur Arbeit?«
Claire schnaubte. »Ich arbeite früh, du nicht. Du musst warten, bis der Herr aus seinem Zimmer kommt, damit du es sauber machen kannst. Oben darf auf keinen Fall Lärm gemacht werden, durch den er womöglich frü-
her aufwacht, als er vorhatte.«
»Und wenn er den ganzen Tag pennt?«
»Dann arbeitest du am Abend, ganz einfach. Und an deiner Sprache solltest du auch arbeiten«, fügte Claire angewidert hinzu. »Du klingst wie ein Gassenjunge. Woher kommst du denn?«
Danny gab keine Antwort, da sie zu sehr damit beschäftigt war zu erröten. Sie hätte sich gewählter ausdrü-
cken können, aber dazu hätte sie sich konzentrieren müssen, und das fiel ihr schwer, wenn sie nervös war. Au-
ßerdem bedeutete ihre Erinnerung daran, dass sie einmal viel vornehmer geredet hatte, nicht automatisch, dass sie es sofort wieder konnte. Also sprach sie so, wie sie es gewöhnt war und fünfzehn Jahre lang getan hatte.
Die Köchin schnalzte über Claires Bemerkungen missbilligend mit der Zunge und sagte zu Danny: »Mach dir keine Sorgen, mein Kind. Mrs Robertson wird dich gut darin unterweisen, was getan werden muss und wann.
Halt dich einfach an das, was sie sagt; dann wirst du prima zurechtkommen.«
In diesem Augenblick kam die Haushälterin herein, erblickte Danny und sagte: »Da bist du ja. Fertig gegessen?
Dann komm mit.«
Sie wurde also nicht ausgeschimpft? Sie war nur zu spät zum Frühstück gewesen? Dannys Erleichterung war riesig – ebenso groß war allerdings ihr Hunger.
Mit einem letzten Blick auf die reiche Auswahl an Speisen auf dem Tisch schnappte sie sich rasch zwei Brötchen und steckte sie sich in die Taschen, bevor sie hinter Mrs Robertson hereilte. Das Gelächter der Köchin, die sie beobachtet hatte, folgte ihr zur Tür hinaus.
Mrs Robertson nahm sie mit nach oben in eines der unbenutzten Zimmer, um ihr haarklein zu erklären, wo-rin ihre Pflichten bestanden. Auch wenn der Raum zurzeit noch ziemlich leer war, würde er doch nicht so bleiben; also zählte Mrs Robertson auf, was Danny zu tun hatte, wenn er vollständig möbliert war.
Im ganzen Haus durfte niemals auch nur ein Staub-körnchen zu sehen sein. Das war Mrs Robertsons oberstes Gebot. Danny würde schmutzige Wäsche einsam-meln und sie gewaschen zurückbringen müssen. Des Weiteren war es ihre Aufgabe, Fußböden, Fenster, ja einfach alles im oberen Stockwerk makellos sauber zu halten.
Die obere Etage würde ihr Reich sein, hatte Mrs Robertson betont. Das klang gut, fand Danny. Vorläufig, zumindest so lange, bis ein Dienstmädchen für das Erdgeschoss eingestellt worden war, würde sie jedoch auch in den unteren Räumen mithelfen müssen. Claire kümmerte sich um die Küche. Da auch im Erdgeschoss die meisten Zimmer noch leer standen, würde es nicht viel Zeit kosten, dort Staub zu wischen.
»Du musst warten, bis Master Jeremy sein Zimmer verlässt; erst dann gehst du hinein, um dort sauber zu machen. Es sei denn, er braucht irgendetwas; in diesem Fall wird er aber vermutlich nach dir
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