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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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Ian mehr Ian gemacht. Aus mir macht sie – mehr Natalie. Ich stehe in keiner Weise außerhalb des Common Global Cube. Ich kann mich vielleicht frei darin bewegen, aber ich kann ihn nicht verlassen. Ian konnte seine eigene Haut verlassen, doch sein Problem bestand immer darin, dass er den Cube nicht verlassen konnte. Als er etwas erblickte, das im Cube nicht vorgesehen ist, konnte er es nicht in sich einpassen. Das mag vielleicht nicht für alle Menschen gelten. Mein Yoga-Lehrer sagte, das Universum komme und sitze in einem, und der Ozean ergieße sich in den Tropfen, nicht aber löse sich der Tropfen im Ozean auf. Aber ich denke, solch eine Erfahrung lässt sich einfacher verarbeiten, wenn sie nicht wortwörtlich gemeint ist.
    Ian hatte Recht: Menschen sind makroskopische Geschöpfe mit einer begrenzten Wahrnehmung. Erweitert man die Wahrnehmung, können wir die Daten nicht mehr sinnvoll verarbeiten. Wenn man etwas nicht mehr nicht verarbeiten kann, das man bloß auf einer Buchseite liest oder in Erinnerung hat, sondern das die Welt ist, in der man lebt, verliert man den Zusammenhalt.« Natalie hielt inne und blickte in ihre Teetasse. Was sie gesagt hatte, erfüllte sie mit Trauer, doch ganz gewiss war es die Wahrheit. »Sie sind durch viele Reifen gesprungen, aber Sie sind nie aus sich selbst herausgesprungen, stimmt’s, Hilel?«
    Guskow nickte schnaubend; dass sie ihn mit seinem ursprünglichen Vornamen angesprochen hatte, schien er kaum zu bemerken. Noch immer voll unbändiger Energie, beugte er sich über den Tisch vor. »Mein alter Körper und mein alter Geist haben einiges durchgemacht. Wenn Sie das Ich als Kontinuität der Erfahrung betrachten, muss ich verneinen: In das völlig Unbekannte habe ich mich nie gestürzt. Ich habe mich stets aus dem Alten neu erschaffen. So ist es bei allem. Wenn es ein Programm gäbe, das uns hilft, uns in unserem Cube besser zurechtzufinden, sodass jeder von uns das Alte loslassen könnte, wenn seine Zeit gekommen ist, und in der Lage wäre, seine Grenzen auszudehnen, statt sie zusammenzuziehen – das wäre genau das Programm, das ich senden würde.«
    Natalie trank ihren Tee aus und spülte die Tasse. Auf dem Weg hinaus blieb sie stehen und küsste ihn oberhalb seines stachligen Barts auf die Wange.
    »Und auf diese Weise behalten wir das Beste und gießen nicht das Kind mit dem Bade aus.« Sie richtete sich auf und streckte ihren Rücken. »Trotzdem müssen Sie in Betracht ziehen, dass es womöglich keine universelle Lösung gibt.«
    »Kein Badewasser?« Lächelnd schüttelte er den Kopf.
    »Das Badewasser ist vielleicht das Beste an uns.«
     
    Noch lange, nachdem das Ausputzerkommando in ihrer Wohnung gewesen war und alles gescheuert, geschrubbt, desinfiziert und bis auf den letzten Zahnstocher gereinigt hatte, roch Mary Delaney den Gestank. Indem man ihr Dans Leiche unterschob, hatte man eindeutig versucht, sie zu destabilisieren und ihr klar zu machen, dass jemand, der überhaupt nichts davon hätte wissen dürfen, über ihre Aktivitäten sehr genau im Bilde sei. Wütend musste sie sich eingestehen, dass die Methode verdammt wirkungsvoll war. Sie hielt es in ihren eigenen vier Wänden nicht mehr aus. Sie zog in ein Hotel und bot die Wohnung zur Miete an.
    Mittlerweile lag ihr der Bericht über Natalie Armstrongs Flucht aus dem bombensicheren Gefangenenauto vor. Er war lächerlich und erklärte gar nichts. Fluchtweg nicht feststellbar. Was hatte sie getan? War sie durch die Wand gegangen? Doch ihre Untergebenen konnten nur spekulieren und hatten Armstrongs Entkommen mit dem Verschwinden von Patient X in Beziehung gesetzt. Sie deuteten an, die Zwischenfälle in der Yorker Klinik könnten erklären … doch Mary konnte keine Zeit damit verschwenden, ihre Mutmaßungen durchzuarbeiten, wenn ihnen jeder greifbare Beweis fehlte. Eher als irgendwelche Superkräfte waren bestochene Beamte Schuld an der Flucht, und wenn Guskow beschlossen hatte, Armstrong unter seinen Schutz zu stellen, was eine zurückhaltende Nachricht aus der Anlage andeutete – nun, die Mafia besaß genügend Geld, jeden zu bestechen.
    Mehrere Tage waren vergangen, seit Jude zum Begräbnis seiner Schwester geflogen war. Nun war er wieder im Büro und hatte sich langsam, aber energisch an seine Fälle begeben. Der ununterbrochene Handel mit illegal erzeugten Tieren – meist eigens gezüchtete und patentierte Stämme von Mäusen für Versuchszwecke – hatte den Großteil ihrer Zeit in Anspruch genommen, und

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